In Belfast kam es zu den schwersten Straßenschlachten zwischen Katholiken und Protestanten seit vielen Jahren

Belfast. Gewaltausbrüche in der nordirischen Hauptstadt Belfast haben die britische und die internationale Öffentlichkeit aufgeschreckt. Zwar lebt in der zu Großbritannien gehörenden Provinz Ulster seit 2007 eine Allparteienregierung Versöhnung vor - im Schoß der Gesellschaft aber herrscht noch immer Unfrieden.

Die Ausschreitungen in der Nacht zum Dienstag und Mittwoch waren die schwersten in Nordirland seit Jahren. Hunderte von Jugendlichen lieferten sich wilde Straßenschlachten mit Polizisten, die zum Schutz einer angegriffenen katholischen Enklave - Short Strand - angerückt waren und sich mit Wasserwerfern und an Gummigeschossen zur Wehr setzten. Short Strand liegt wie ein Getto in einem von Protestanten besiedelten Stadtteil im Osten Belfasts. Hohe, mit Stacheldraht bewehrte Mauern aus schweren Backsteinen oder Beton trennen hier die beiden Gesellschaftsgruppen. Schmale Schleusen dazwischen gewähren Aus- und Eingänge, die aber nur von den in diesem Stadtviertel Lebenden genutzt werden.

Vermummte Anhänger der protestantischen paramilitärischen Ulster Volunteer Force (UVF) hatten am späten Montag damit begonnen, über die sogenannten "Friedensmauern" hinweg Steine und andere Wurfgeschosse auf die dahinter liegenden Häuser zu werfen. Der Kampf um die belagerte Enklave verlagerte sich dann auf die den Short Strand umgebenden Straßen, wo bewaffnete Polizei und deren Fahrzeuge unter Beschuss auch von Brandbomben gerieten.

In dem Getümmel wurde ein Fotograf der Presseagentur Press Association am Bein getroffen - durch einen Schützen von katholisch-republikanischer Seite, wie sich herausstellte. Der Konflikt könnte erneut eskalieren, wie viele befürchten.

Es ist möglich, dass dem neu aufgeflackerten Konflikt Streitigkeiten innerhalb der UVF selber zugrunde liegen, unter rivalisierenden Fraktionen, die um die Vorherrschaft in der Organisation ringen. Seit dem Ende des Bürgerkriegs, in Großbritannien euphemistisch als "the troubles" bezeichnet, haben sich die ehemals im Untergrund kämpfenden terroristischen Gruppen der "Loyalisten" und "Republikaner" (Katholiken, die für Irland optieren) in den von ihnen beherrschten Stadtteilen als Organisationen mit zum Teil dubiosen Ausfächerungen etabliert, eingeschlossen Drogenhandel. Es existieren Mafia-ähnliche Strukturen, womit bis in das soziale Geflecht der von ihnen beherrschten Bevölkerung hinein Macht ausgeübt wird. Und das gnadenlos, wie sich vor einem Jahr zeigte, als ein UVF-Kritiker aus den eigenen Reihen, Bobby Moffett, auf einer belebten Einkaufsstraße niedergeschossen wurde.

Andere Quellen der Unruhe unter den Loyalisten kommen hinzu. Es gibt in Nordirland eine Kommission zur Aufarbeitung der im Bürgerkrieg begangenen Untaten, "Historical Enquiries Team" genannt, die aber nicht nur zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt wurde, sondern auch, um der Justiz Material zur Strafverfolgung von noch nicht geahndeten Verbrechen zu liefern. Viele Protestanten - nicht nur in der UVF - beklagen, dass dieses Forscherteam bei der Bewältigung der Vergangenheit ein schärferes Augenmerk auf den protestantischen Anteil am Bürgerkrieg richte, und die Katholiken - etwa die IRA - milder behandele.

Auch rückt die alljährliche Marschsaison der Oranier näher, mit ihrem Höhepunkt am 12. Juli - dem Gedenktag an die vernichtende Niederlage, die Wilhelm III., der Oranier-Monarch, im Jahr 1690 an dem Flüsschen Boyne dem irischen Heer zufügte. In den letzten Jahren, zumal seit dem Karfreitags-Friedensabkommen vom April 1998, wurden diese Märsche zur Empörung der Oranier immer weiteren Restriktionen unterworfen, zur Wahrung des Friedens in der Gesellschaft.

Dieser ist weit davon entfernt, schon jetzt durchgehend Realität zu sein. Die Zahl der Trennmauern zwischen der verfeindeten Bevölkerung hat sich in Belfast seit Beginn des politischen Friedensprozesses rapide erhöht, was auf ein Paradox hinweist, das Kommentatoren oft ansprechen: Würde man diese Mauern über Nacht schleifen, so würden die dahinter Verschanzten sofort über die andere Seite herfallen und der Bürgerkrieg von Neuem beginnen. Wie ein Abgeordneter des Belfaster autonomen Parlaments gestern in der BBC erläuterte, setzen sich Jugendliche in Ulster oft von der älteren Generation ab, die nach Jahren des Bürgerkriegs zur Versöhnung gefunden hat. Das Argument lautet dann: Ihr habt eure große Zeit der Kämpfe gehabt - jetzt sind wir an der Reihe.