Der Irland-Experte Dr. Nils Zurawski, 43, lehrt am Institut für Volkskunde an der Uni Hamburg

Hamburger Abendblatt:

1. In Nordirland gibt es wieder Gewalt zwischen Katholiken und Protestanten auf den Straßen. Warum jetzt?

Nils Zurawski:

Es ist mitten in der Paradensaison, die geht von Ende April bis zum 12. Juli beziehungsweise bis zum 12. August in Derry. Es herrschen noch immer Spannungen in Nordirland, noch immer ist die Gesellschaft geteilt. Wenn Sie durch Belfast fahren, werden Sie heute mehr trennende "Friedensmauern" sehen als noch vor 13 Jahren. Und in der Paradensaison gibt es einfach viel mehr Anlässe, bei denen sich etwas entzünden kann.

2. Die Gewalt ging offenbar aus von der Ulster Volunteer Force (UVF). Welche Rolle spielen derartige Gruppen?

Zurawski:

Die UVF ist eine relativ kleine paramilitärische Organisation, gut organisiert, schlagkräftig und früher sehr brutal. Sie entstand Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre und ist das Pendant zur katholischen IRA. Diese Gruppen haben derzeit nichts zu tun, leiden unter Machtverlust und müssen ihre Rolle in der Gesellschaft neu definieren. Mag sein, dass sich jetzt einzelne Leute beweisen müssen. Es gibt diese Gruppen nach wie vor, und sie sind nicht zu unterschätzen.

3. Ist die Gewalt sporadisch oder geht der gesamte Friedensprozess den Bach herunter?

Zurawski:

Das ist sporadisch, da geht nichts den Bach herunter. Einen so langen Frieden hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Dieser Frieden ist nicht in Gefahr, die Gesamtgesellschaft lässt sich nicht davon mitreißen. Wenn man den jüngsten Krawall auf dem Stadtplan eingrenzt, dann sieht man, es handelt sich um nur vier, fünf Straßen, nicht größer als das Univiertel in Hamburg. Das ist kein Flächenbrand.

4. Gibt es ähnlich wie im Nahen Osten Gruppen, die an der Fortsetzung des Konflikts interessiert sind?

Zurawski:

Ja. Auf der republikanisch-katholischen Seite sind das Splittergruppen der IRA, kleine Gruppen aus verbohrten Hardlinern, denen ihr ganzer Sinn abhanden gekommen ist. Und die gibt es vermutlich auf protestantischer Seite auch. Doch die sind in einer solchen Minderheit, dass sie nach meiner Meinung nicht in der Lage sind, den Friedensprozess infrage zu stellen.

5. Es ist immer von Katholiken und Protestanten die Rede - ist dies im Kern ein religiöser Konflikt?

Zurawski:

Wenn man die Ursprünge dieses Konflikts betrachtet, sagen wir im 15./16. Jahrhundert, dann hatte das damals etwas mit Religion zu tun. Doch der Konflikt, wie er sich heute darstellt, ist sozialer und kulturell-ethnischer Natur und nur religiös angepinselt. Mit Kirche hat das nichts mehr zu tun.