Erdrutschsieg der Partei des Rechtspopulisten Timo Soini gefährdet Euro-Rettungspaket

Helsinki/Brüssel. Am Wahlabend trägt Timo Soini einen weiß-blauen Schal um den Hals. Weiß und Blau, das sind die Farben seines Landes, und es sind die Farben seiner Partei, der rechtspopulistischen Perussuomalaiset, zu Deutsch "Wahre Finnen". Doch die Farbkombination hat mit keinem von beidem zu tun: Der Fanschal gehört zum Londoner Zweitliga-Verein Millwall FC - der so untrennbar mit dem glühenden Fußballfan Soini verbunden ist wie seine geschliffene Rhetorik und sein selbstzufriedenes lautes Lachen.

Das bringt er am Sonntagabend nur mit Mühe hervor. Timo Soini hat zwar gerade Geschichte geschrieben - von vier auf 19 Prozent ist seine Partei gewachsen, mit nur 0,1 Prozent Abstand drittgrößte Partei geworden. Aber Soini ist müde. 33 Tage lang hat er pausenlos in ganz Finnland unzählige Wähler mobilisiert, die sonst gar nicht zu den Urnen gegangen wären.

"Das Volk weiß es besser", ist Soinis Devise. So sucht er "sein Volk" deshalb, so oft er kann, im Fußballstadion und auf der Trabrennbahn. Kein anderer finnischer Politiker ist so nah dran an den Leuten. "Er spricht kein Beamtenfinnisch. Und dank seines rhetorischen Talents verzeiht man ihm alles", sagt Wahlforscher Lauri Karvonen von der Universität Turku.

Auf einer Irlandreise bekehrte eine Nonne Soini zum Katholizismus. In Finnland ist die katholische Kirche winzig und zudem von Ausländern geprägt - seine Mitgliedschaft gilt als Beweis für Soinis Offenheit. Die findet anderswo schnell Grenzen: Er ist gegen Abtreibung, gegen gleichgeschlechtliche Ehen, gegen ein Adoptionsrecht für Homosexuelle. Obwohl Finnland das Land mit dem niedrigsten Ausländeranteil in der EU ist, pflegt er einwanderungskritische Slogans. Er ist auch nach Fukushima für Atomkraft - und für traditionelle Werte. "In Finnland muss finnisch gelebt werden, und finnische Produkte sollen aus Finnland kommen", so formuliert es Parteimitglied Sampo Terho. Die Wahren Finnen träumen von einem allianzfreien finnischsprachigen Finnland, in dem alles wird, wie es vor der Globalisierung war - mit dem Reichtum von heute obendrauf. Nur wenige Länder in Europa haben so sehr von der Globalisierung profitiert wie Finnland. "Aber viele sehen sie nicht als Chance, sondern als Bedrohung", sagt Wahlforscher Karvonen. "Bei jeder Entwicklung gibt es auch Verlierer." Gerade in der traditionsreichen Papierindustrie gehen viele Jobs verloren. Nokia, das Flaggschiff des finnischen Wirtschaftswunders, wird wohl noch diese Woche Tausenden Mitarbeitern im eigenen Land kündigen. So kanalisiert Soini die Unzufriedenheit. Protest ist Parteiprogramm, zum Beispiel gegen zahlreiche Wahlspendenskandale in jüngster Vergangenheit.

Beobachter gehen davon aus, dass die Partei in die Regierung einziehen wird. Theoretisch könnte eine Regierung auch ohne die Wahren Finnen gebildet werden. "Aber sie sind klar die Wahlsieger, man kann sie nicht übergehen", sagt Jutta Urpilainen, Vorsitzende der sozialdemokratischen SDP. Und die bisherige regierende Zentrumspartei gibt ihren Posten ohnehin auf: "Angesichts dieser Niederlage gehen wir in die Opposition", sagte Ministerpräsidentin Mari Kiviniemi.

Die konservative Sammlungspartei, die die meisten Stimmen auf sich vereint, will mit den Wahren Finnen verhandeln, auch wenn "das sehr schwer sein wird", so Parteichef Jyrki Katainen. Für am wahrscheinlichsten halten Wahlforscher eine Koalition der größten drei Parteien: Sammlungspartei, SDP und Basisfinnen würden dann 125 der 200 Parlamentssitze stellen.

Soini weiß aber: Keiner wird mit ihm koalieren, wenn er die EU-Finanzhilfe für Portugal verweigert. Schon hat er seine EU-kritische Position vorsichtig korrigiert. Genau darauf hofft man in Brüssel. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte, man erwarte von Helsinki, dass es seinen bereits gegebenen Verpflichtungen zur Euro-Rettung nachkomme. Portugal hatte Ende März Finanzhilfe in Brüssel beantragt. Das Land soll Mitte Mai rund 80 Milliarden Euro bekommen, wenn es im Gegenzug harte Sparmaßnahmen und Wirtschaftsreformen einleitet. In Finnland muss dem Paket das Parlament zustimmen - und könnte es theoretisch blockieren, wenn bis dahin eine Regierung steht. Wie volatil Europas Finanzverfassung ist, machte der Euro-Kurs klar: Er rutschte nach dem Sieg der Wahren Finnen auf unter 1,43 Euro.