Retter müssen nach Rauchentwicklung Arbeiten an Unglücksreaktoren einstellen. Unionspolitiker fordern früheren Ausstieg aus Kernenergie

Hamburg. In der Region um das havarierte japanische Atomkraftwerk Fukushima 1 haben sich erneut Erdbeben ereignet. Es seien Erschütterungen der Stärken 6,0 und 5,8 gemessen worden, teilte die Wetterbehörde des Landes gestern mit. Zu einem Tsunami kam es nicht, auch über zusätzliche Schäden wurde zunächst nichts bekannt.

Bei den Arbeiten, um die havarierten Reaktoren endlich unter Kontrolle zu bekommen, gibt des immer wieder Rückschläge. Weil schwarzer Rauch über Block 2 aufstieg, musste das gesamte Kraftwerk erneut evakuiert werden. Auch die Radioaktivität war angestiegen. Ein Feuerwehreinsatz zur Kühlung des Reaktors von außen musste verschoben werden. Die Behörde für Reaktorsicherheit teilte mit, der Auslöser für den dunklen Rauch sei nicht bekannt. Die Arbeiter sollten jedoch erst heute wieder in das Kraftwerk zurückkehren, weil man in der Dunkelheit nicht klären könne, ob der Rauch überall abgezogen sei.

Die radioaktive Verseuchung macht den Menschen in Japan immer mehr zu schaffen. In der rund 250 Kilometer von Fukushima entfernten Hauptstadt Tokio stiegen die Werte radioaktiven Jods im Trinkwasser auf das Doppelte der für Kleinkinder empfohlenen Grenze. Erhöhte radioaktive Werte wurden nach Regierungsangaben auch in Brokkoli entdeckt, der in der Region um die Anlage angebaut wurde. Zuvor waren unter anderem bereits in Spinat und Milch erhöhte Werte gemessen worden. In der EU sind dagegen bei Kontrollen von Lebensmitteln aus Japan bislang keine erhöhten Strahlenbelastungen aufgefallen. Die Behörden haben vorsorglich ein Kontrollnetz gespannt. Am Frankfurter Flughafen etwa werden alle Lebensmittelsendungen aus Japan auf Radioaktivität untersucht. In der Atmosphäre über Deutschland waren bis gestern Mittag keine radioaktiven Partikel aus Japan nachweisbar. Das teilte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter mit, das die Luft über Deutschland laufend überprüft.

Innerhalb der Union mehren sich nun die Stimmen, die über das von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verhängte Laufzeit-Moratorium hinausgehen wollen. Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) sprach sich für die endgültige Abschaltung der sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke aus. "Es würde uns als politisches Signal guttun, wenn die älteren Reaktoren nicht wieder ans Netz gehen", sagte Söder dem "Stern". Viele in der Union rechnen damit, dass nach dem Moratorium mehrere alte Meiler abgeschaltet bleiben. Söder sagte weiter, die Nutzung der Kernenergie habe noch nie zum Markenkern der CSU gehört. Und nach der Katastrophe in Japan habe sich die Einstellung vieler Menschen geändert. "Das Atomzeitalter geht zu Ende. Auch in Bayern. Aber noch nicht jetzt." Zuvor müssten die Speicherkapazitäten und Stromnetze schneller ausgebaut werden. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, fordert eine größere Akzeptanz für den Ausbau der Netzinfrastruktur. Driftmann warnt vor einem abrupten Ausstieg aus der Kernenergie. Dem Hamburger Abendblatt sagte er: "Die Abschaltung von sieben Kernkraftwerken wird sich spürbar auf die Energieversorgung auswirken, denn es fällt damit ein Teil der berechenbaren Kraftwerkskapazität weg." Das wiederum könne Folgen für die Stabilität des Netzes und für die Strompreise haben. "Politik und betroffene Branchen müssen deshalb gemeinsam daran arbeiten, das Energiekonzept neu zu justieren."

Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) forderte wie Söder eine dauerhafte Stilllegung der Alt-Meiler. Zudem müsse während des Moratoriums geprüft werden, wie lange die übrigen Meiler noch laufen sollten, sagte Müller in einer Regierungserklärung im Landtag in Saarbrücken. "Wir müssen die Brücke ins Solarzeitalter schneller bauen als bisher geplant", forderte Müller. Schleswig-Holsteins Landesregierung will den Ausstieg ebenfalls beschleunigen. Spätestens 2020 solle der Norden seinen Strombedarf vollständig aus erneuerbaren Energien decken, sagte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) gestern in Kiel.

Grünen-Bundestagsfraktionsvize Bärbel Höhn begrüßte die Initiativen von Söder und Müller. "Der Vorschlag von Peter Müller könnte auch die Grundlage für übergreifende Parteiengespräche sein", sagte Höhn. Eine Gefahr für die Netzstabilität durch die geplanten AKW-Abschaltungen sieht Höhn nicht. "Da wir enorme Überkapazitäten in Deutschland haben, werden wir in den nächsten Monaten auch keine Stromlücke erleben."