Mit einer gewaltigen Militäraktion greift der Westen in den Kampf gegen den libyschen Diktator ein. Der setzt seine Angriffe gegen die Rebellen fort

Hamburg/Tripolis. Ein kurzer Knall, dann reißt ein greller Blitz das Vorschiff des amerikanischen Raketenzerstörers "USS Barry" aus der nächtlichen Dunkelheit. Mit einem ohrenbetäubenden Röhren steigt der Tomahawk-Flugkörper in den schwarzen Himmel über dem Mittelmeer, legt sich nach einigen Dutzend Metern in eine Kurve und verschwindet im Horizontalflug in Richtung libysche Küste.

Es ist die Nacht von Sonnabend auf Sonntag. Die Operation "Odyssey Dawn", die Durchsetzung der Uno-Flugverbotszone und der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung, ist angelaufen. Ein Bündnis unter der Führung der USA, Frankreichs und Großbritanniens beginnt damit, die libysche Luftabwehr zu zerstören, damit die eigenen Jets ohne Gefahr den Luftraum über dem Gaddafi-Reich kontrollieren können. Es ist die größte internationale Intervention in einem Staat seit dem Irak-Krieg.

Die Videoaufnahmen des Raketenstarts vom Deck der "USS Barry" zeigen nur einen winzigen Ausschnitt der gesamten Militäraktion. Kurz zuvor haben 20 französische Kampfflugzeuge Luftangriffe auf Ziele in Libyen geflogen. Nach den Franzosen eröffnen amerikanische und britische Kriegsschiffe wie die "USS Barry" weit vor der libyschen Küste das Feuer und starten 112 Tomahawk-Marschflugkörper. Auch britische Kampfflugzeuge sind im Einsatz. Mehrere Tornados der Royal Air Force sind von der ostenglischen Basis Marham gestartet und feuern vor Ort ihre Lenkflugkörper ab. Dann kehren sie in die Heimat zurück - nach einem 4800 Kilometer langen Flug.

Medienvertreter in Tripolis berichten unterdessen von Schüssen durch Flugabwehrgeschütze und Maschinengewehre. In Washington tritt US-Vizeadmiral William Gortney vor die Presse und erklärt, dies sei die erste Phase zur Durchsetzung der Flugverbotszone. Die Militäraktion habe zwei Ziele: Angriffe der Gaddafi-Truppen auf Rebellen zu unterbinden und die Fähigkeit der libyschen Streitkräfte zu mindern, sich gegen die Flugverbotszone zu wehren.

Noch in der Nacht zum Sonntag meldet das libysche Fernsehen, bei den Luftangriffen seien 48 Menschen getötet worden. Unter Berufung auf das Oberkommando der Streitkräfte heißt es weiter, 150 Menschen seien verletzt worden. Dem libyschen Fernsehen zufolge handelt es sich bei den meisten Opfern um Kinder. Belegen oder widerlegen lassen sich diese Informationen nicht. Am frühen Morgen geben Russland und China bekannt, dass sie die Luftschläge bedauern. Das Blutvergießen müsse schnell gestoppt werden. Beide Staaten sind ständige Mitglieder im Uno-Sicherheitsrat und haben sich - wie das nicht ständige Mitglied Deutschland auch - bei der Abstimmung zur Flugverbotszone enthalten.

In Bengasi, der Hochburg der Regimegegner, sei das Eingreifen der internationalen Allianz gegen die Gaddafi-Truppen mit Erleichterung aufgenommen worden, berichtet ein Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira aus der Stadt. Die Aufständischen hätten einen überraschenden Angriff der Gaddafi-Truppen abwehren können. Bei dem Angriff seien 30 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt worden, darunter Frauen und Kinder.

Es ist Sonntagmorgen, als auch die US Air Force eingreift. Nach Angaben des Afrika-Kommandos der US-Streitkräfte in Stuttgart-Möhringen bombardieren mindestens 18 amerikanische Kampfflugzeuge, darunter auch drei Tarnkappenbomber, Ziele in dem nordafrikanischen Land. Der US-Oberbefehlshaber Mike Mullen spricht in einem Interview mit dem Sender ABC von einem "Erfolg" der ersten Phase des internationalen Militäreinsatzes. Libysche Flugzeuge seien nicht in der Luft.

Machthaber Muammar al-Gaddafi zeigt sich von der ersten Angriffswelle unbeeindruckt. In einem Telefonat mit dem staatlichen libyschen Fernsehen sagt Gaddafi, er werde bei der Bekämpfung des Aufstands im Osten des Landes nicht lockerlassen. Er habe die Waffenlager für die Bevölkerung geöffnet. "Wir versprechen euch einen langen Krieg", sagte Gaddafi.

Französische Flieger beschießen nun in der Nähe von Bengasi auch Panzerverbände der Gaddafi-Truppen. Bilder zeigen zuerst gewaltige Explosionen am Boden, später ausgebrannte Panzer und Truppentransporter. Dessen ungeachtet setzen die regierungstreuen Truppen aber ihre Offensive gegen die Aufständischen fort. Laut BBC sollen Panzer mit Gaddafi-treuer Besatzung im Zentrum der Stadt Misrata eingezogen seien. Zahlreiche Zivilisten sollen getötet worden sein. "Odyssey Dawn" hat gerade erst begonnen.