50 japanische Arbeiter stemmen sich gegen die drohende Katastrophe und versuchen, die Reaktoren zu kühlen. Hoffnungsschimmer: Die Leitungt, welche die Kühlaggregate mit Strom versorgt, soll heute fertiggestellt werden.

Tokio. Nur eine Handvoll sind geblieben. Unerschrockene Techniker, die sich der Strahlung und dem Feuer aussetzen. Und wahrscheinlich sind sie Japans letzte Chance, eine gigantische Nuklearkatastrophe im Atomkraftwerk Fukushima zu verhindern.

Die Männer kriechen durch ein Labyrinth aus Geräten, die Dunkelheit nur durchbrochen von flackernden Taschenlampen. Sie horchen dabei auf die regelmäßigen Explosionen, wenn Wasserstoff aus den beschädigten Reaktoren entweicht und sich beim Kontakt mit der Luft entzündet.

Die Arbeiter atmen durch unbequeme Masken, sie tragen schwere Sauerstofftanks auf ihren Rücken. Die Kapuzen ihrer weißen Schutzanzüge lassen sich fest zuziehen - ein zum Scheitern verurteilter Versuch, sich vor den unsichtbaren Strahlen zu schützen.

Man kennt ihre Namen nicht, die 50 Arbeiter auf dem Fabrikgelände sind gesichtslose Helden. Sie haben sich freiwillig für den Dienst gemeldet oder wurden dazu bestimmt. Tokyo Electric weigert sich, die Namen über die Mannschaft preiszugeben. Während alle anderen gingen, blieben diese Männer zurück und pumpen seit Dienstag Hunderte Liter Meerwasser durch eilig verlegte Feuerwehrschläuche in die schwer beschädigten Reaktoren. Sie sollen damit die vollständige Kernschmelze verhindern, die droht, Tausende Tonnen radioaktiven Staubs in die Luft blasen und Millionen Japaner zu gefährden.

Das Opfer, das ihnen dabei abverlangt wird, nimmt zunehmend existenzielle Züge an. Und die Regierung erkennt diesen Umstand höchstens indirekt an: Die japanische Gesundheitsministerin verkündete am Dienstag, die zulässige Strahlenbelastungsgrenze für Arbeiter sei von 100 auf 250 Millisievert erhöht worden. Das ist ungefähr fünfmal so viel, wie in amerikanischen Kernkraftwerken erlaubt ist.

Die Anhebung hat zur Folge, dass die Arbeiter sich nun länger auf dem Gelände aufhalten dürfen. "Es wäre nicht vertretbar für die Gesundheit der Arbeiter, die Grenze noch weiter anzuheben", sagt Gesundheitsministerin Yoko Komiyana. Auf der Pressekonferenz deutete er außerdem an, dass weitere Techniker zur Rettung des Kernkraftwerkes eingesetzt würden. Von der Betreiberfirma Tokyo Electric Power war indes überhaupt nichts über die Situation der Arbeiter zu hören. Auch darüber, wie lange diese der Strahlenbelastung noch ausgesetzt werden sollen, machen die Betreiber keine Angaben.

Die wenigen Details, die die Firma preisgibt, zeichnen ein düsteres Bild. Fünf Arbeiter seien seit Freitag gestorben, 22 verletzt und über den Verbleib von zwei Technikern sei nichts bekannt.

Ein Arbeiter wurde offenbar ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem er sich plötzlich an die Brust gefasst habe und nicht mehr fähig war zu stehen. Außerdem habe eine radioaktive Wolke, die aus einem der Reaktoren entwich, einen Kollegen erwischt. Schwere Verletzungen erlitten außerdem elf Techniker in Folge von Wasserstoffexplosionen im Reaktor Nummer drei.

Aus Kollegenkreisen war gestern zu vernehmen, dass das Berufsverständnis eines Kernkraftmitarbeiters von einem ähnlichen Geist und Einsatzwillen geprägt sei, wie er beispielsweise unter Feuerwehrmännern und Elite-Militäreinheiten herrsche. So drehten sich Gespräche in der Kantine häufig darum, was die Techniker im Notfall tun würden. Es herrsche Einverständnis darüber, dass man seine Familien immer aus der Gefahrenzone bringen würde, statt sie bis zuletzt mit ausharren zu lassen. Das bestätigt auch Michael Friedländer, ein ehemaliger Vorarbeiter in drei amerikanischen Kernkraftwerken. "Natürlich ist man sehr besorgt über die Gesundheit und Sicherheit seiner Familie, aber man hat einfach die Pflicht, auf dem Gelände zu bleiben." Es entwickle sich ein starkes Gefühl der Kameradschaft, wenn man jahrelang zusammen für den Ernstfall trainiere und gemeinsam Schichtdienst geleistet habe.

Über diese Schicksalsgemeinschaft unter Kernkraftmitarbeitern hinaus identifizierten sich die Japaner generell stark mit ihren Jobs. Das führe zu einem enormen Einsatzwillen.

Die verbleibenden Techniker in Fukushima sehen sich extremen Risiken ausgesetzt. Noch am Dienstag hatte Tokyo Electric 750 Notfall-Mitarbeiter evakuiert. Die Restmannschaft entspricht nun der Besetzung, wie sie an einem normalen ruhigen Tag in dem Kernkraftwerk eingesetzt wäre. Fukushima ist vom Grad der Strahlenbelastung her nicht mit Tschernobyl zu vergleichen. Der ukrainische Reaktor explodierte und spie über zehn Tage gigantische Wolken aus. Die Arbeiter verblieben damals vor Ort. Neben Fabrikangestellten und Feuerwehrmännern meldeten sich auch unzählige Freiwillige, um den Reaktor erst zu zähmen und ihn dann einzubetonieren. Dabei ist natürlich nicht geklärt, ob sie über die Risiken ihres Einsatzes aufgeklärt waren. Innerhalb von nur drei Monaten starben 28 von ihnen an den Folgen der Verstrahlung. Mindestens 19 starben an den Infektionen, die von den umfassenden Strahlenverbrennungen rühren. Weitere 106 auf dem Gelände verbliebenen Arbeiter zeigten laut einem Uno-Bericht Symptome der Strahlenkrankheit: Dazu gehören Übelkeit und Erbrechen, auch Durchfall und Blutarmut, man wird anfälliger für Infektionen. Spätfolgen umfassten außerdem grauer Star, Brandnarben und Blutkrebs. Während Berichte am Dienstag noch von einer Belastung von 400 Millisievert pro Stunde am Eingang des Fabrikgeländes in Fukushima sprachen, seien die Werte gestern wieder auf 0,6 Millisievert gefallen. Tokyo Electric hat allerdings noch keine Zahlen vorgelegt, die etwas über die Strahlenbelastung in den betroffenen Gebäuden sagen, wo die Arbeiter gegen die Kernschmelze kämpfen. Atomexperten gehen aber davon aus, dass die Belastung hier weitaus höher sein muss, weil die Wände die Strahlen noch zurückhalten.

Man gehe davon aus, dass die Verseuchung in den Reaktoren mittlerweile eine Dimension erreicht habe, die es den Arbeitern unmöglich mache, sich länger in den Gebäuden aufzuhalten. In einigen Fällen könne es sogar sein, dass die Mitarbeiter nur wenige Minuten ihre Aufgaben verrichten könnten, bevor sie an einen Kollegen übergeben.

Doch die Betreiber verraten nicht, wie müde oder kranke Mitarbeiter abgelöst werden sollen. Einige von ihnen sollen Mitglieder der Japanischen Notwehrkräfte sein, auch Polizisten und Feuerwehrmänner. Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa bringt die Soldaten zudem als Helikopterpiloten ins Gespräch, die Kühlwasser über den dampfenden Reaktor Nummer 4 ausschütten sollen. Doch Hubschrauber konnten die Anlage gestern wegen der hohen Strahlung nicht aus der Luft mit Wasser kühlen.

In Tschernobyl rekrutierte die Sowjetunion für die Aufräumarbeiten aus allen Republiken Arbeiter. Durch Schichtdienst sollte auch dort die Strahlenbelastung für den Einzelnen so gering wie möglich gehalten werden. "In Tschernobyl wurden mehr als 600 000 Arbeiter in die radioaktiven Trümmer geschickt, um den Betonsarg zu bauen", sagt John Boice, Autor des Uno-Berichts. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden verstrahlt.

© New York Times, übersetzt aus dem Amerikanischen von Silke Mülherr