Nach dem Albtraum in Japan geraten sie zu schnell aus dem Blick.

Die Albtraum-Ereignisse in Japan haben vielen Menschen den Boden unter den Füßen weggezogen. Lesen Sie diesen ersten Satz noch einmal und fragen sich: Woran denke ich dabei? An unsere Sorge, ob der Sushi-Thunfisch aus Asien bald verseucht ist oder demnächst weitere Lebensmittel? An die Befürchtung, ob verstrahlte Wolken die 9000 Kilometer bis nach Deutschland oder Europa zurücklegen können? An die Folgen für unsere eigentlich auf Jahrzehnte ausgerichtete Kraftwerkspolitik? Nach dem ersten Entsetzen über die Furcht einflößenden Bilder von Gebäuden, Zügen, ja ganzen Ortschaften, die von einer unheimlichen Riesenwelle naturgewaltig weggespült wurden, haben wir unser Augenmaß verloren. Denn inzwischen geht es immer weniger um die tausendfachen Opfer der Katastrophe, jene, die eigentlich Anspruch auf unser Mitgefühl und unser Mitleid hätten und die auf schnelle Hilfe angewiesen sind.

Wer das Inferno an Japans Küste überlebt hat, kämpft schon wieder ums Überleben. In den schwer verwüsteten Regionen fehlt es an Trinkwasser, an Lebensmitteln und Notunterkünften. Wo vernimmt man zum Beispiel die Bereitschaft der besorgten Weltöffentlichkeit, all jenen Vieltausenden Menschen eine Zuflucht zu ermöglichen, die vielleicht bald ihr Zuhause verlieren, wenn die Zone der Unbewohnbarkeit um Fukushima noch stärker ausgeweitet wird?

Stattdessen hat hierzulande - nach pflichtmäßig vorgetragenen flüchtigen Beileidsfloskeln - eine in Teilen hysterische Diskussion eingesetzt. Auch wenn uns die kulturell geübte, zur Schau getragene Gelassenheit der Japaner fremd ist, sollten wir nicht gleich ins verrückte Gegenteil verfallen.

Wir sollten die Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren, sie ist schlimm genug und bedarf keiner Übertreibung. Selbstverständlich müssen auch wir aus der nuklearen Katastrophe lernen, selbst wenn hierzulande weder Beben in vergleichbarer Größe noch verheerende Tsunamiwellen drohen. Aber bedarf es dazu einer politischen Kehrtwende innerhalb von dreimal 24 Stunden? Und müssen wir auf dem Rücken der noch zahllosen Opfer gleich wieder unsere parteipolitischen Süppchen kochen? Sind unsere Kernkraftwerke, die auch Rot-Grün noch Jahrzehnte laufen lassen wollte, plötzlich über Nacht (noch) gefährlicher geworden?

An Mahnmalen und Gedenkstätten, die bei uns an die oft namenlosen Opfer von Gewalt, Terror und Krieg erinnern, steht manchmal ein Satz, den wir uns heute wieder in Erinnerung rufen sollten: Vergesst die Opfer nicht.