Menschenrechtler und ihre Kinder kämpfen um das Leben der 43-jährigen Sakineh Ashtiani. Sie soll zwei Affären gehabt haben.

Hamburg/Teheran. Es ist gar nicht erwiesen, ob Sakineh Mohammadi Ashtiani sich überhaupt des Verbrechens der Liebe schuldig gemacht hat. Doch so lautet der Vorwurf an die 43-jährige Iranerin: Sie soll zwei Liebesaffären gehabt haben. Und was im Westen zum Leben gehört, wird im Gottesstaat Iran mit dem Tode bestraft. Ihr Schicksal hat die Welt aufgerüttelt, doch der verzweifelte Kampf um ihr Leben geht weiter. In einer dubiosen Gerichtsverhandlung im Jahre 2006 hatte Sakineh gestanden und wurde zu 99 Peitschenhieben verurteilt. Sie gehört jedoch der aserbaidschanischen Minderheit an und spricht gar kein Farsi, sondern nur Türkisch. Sie verstand überhaupt nicht, was im Gerichtssaal verhandelt wurde. Die zweifache Mutter wurde danach halb totgepeitscht - ihr damals 17-jähriger Sohn Sajad musste die grausame Züchtigung mit ansehen. "Sie peitschten sie vor meinen Augen aus - das hat sich in mein Gehirn eingebrannt."

Doch ihr Martyrium war damit nicht beendet. Die Justiz beschuldigte noch im selben Jahr einen Mann, Sakinehs Ehemann getötet zu haben, der 2006 starb. Im Zuge dieses Prozesses wurde plötzlich der Vorwurf erhoben, sie habe nicht nur nach dem Tod ihres Mannes Affären gehabt, sondern bereits während der Ehe. Für beides gab es zwar weder Zeugen noch Beweise - doch aufgrund eines einzigartigen Passus in der iranischen Rechtsprechung vermag der Richter ohne Beweise, allein aufgrund seines persönlichen Ermessens, ein Urteil zu fällen. Sakineh Mohammadi Ashtiani wurde in einem neuen Verfahren zum Tode verurteilt - durch Steinigung. "Ein absolut illegales Urteil", sagte ihr Anwalt Mohammed Mostafei.

Die barbarische Hinrichtungsart kann bei Ehebruch eigentlich nur aufgrund eines Geständnisses oder der Aussage von mindestens vier männlichen Zeugen angeordnet werden, die beim Geschlechtsakt zugegen sein müssen - was selten der Fall sein dürfte. Allerdings ignorieren die Gerichte diese Bestimmungen zumeist. Zudem ist die Aussage einer Frau vor Gericht nur halb so viel wert wie die eines Mannes.

Beim Steinigen, das noch im Iran und Afghanistan stattfindet, wird der oder die Verurteilte eingegraben und von Freiwilligen mit Steinen beworfen. Der betreffende Paragraf 104 des Strafgesetzbuches schreibt vor, dass die Steine nicht so groß sein dürfen, dass bereits wenige Würfe tödlich wären. Dies dient dazu, die Strafe möglichst grausam zu gestalten. Wenn der blutüberströmte Körper schließlich vornüber sinkt, zertrümmern Schergen mit Schaufeln dem Opfer endgültig den Schädel.

Männer werden laut Paragraf 102 nur bis zur Hüfte eingegraben, Frauen aber bis zur Brust. Das hat folgenden Hintergrund: Wer sich aus der Grube befreien kann und zuvor gestanden hatte, ist frei. Dies gelang zuletzt 2009 einem Delinquenten in Maschad. Die tiefer eingegrabenen Frauen haben keine Chance.

Im vergangenen Jahr wurden im Iran mindestens 388 Menschen hingerichtet. 13 Verurteilte warten derzeit auf ihre Steinigung. Ein 2002 verhängtes Moratorium für Steinigungen kann von Richtern völlig ignoriert werden.

Durch die Weltöffentlichkeit ging ein Aufschrei, als Sakinehs Kinder, der heute 22-jährige Sajad und seine 17-jährige Schwester Farideh, am 26. Juni über Facebook einen verzweifelten Hilferuf veröffentlichten. "Helfen Sie uns, damit dieser Albtraum nicht Wirklichkeit wird", flehten sie und fragten: "Ist die Welt so grausam, dass sie dieser Katastrophe tatenlos zusieht?"

Sie fanden Hilfe bei der iranischen Menschenrechtlerin Mina Ahadi, die selber wegen politischer Tätigkeit im Iran zum Tode verurteilt wurde und seit 1996 in Deutschland lebt. Sie half den Kindern, den Aufruf zu verfassen, schrieb Amnesty International sowie Regierungen in aller Welt an. Inzwischen haben unter anderem der US-Kongress, der irische Senat, die britische, norwegische und die kanadische Regierung, Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), EU-Außenkommissarin Catherine Ashton, der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte und viele Prominente in aller Welt wie die Schauspieler Robert Redford, Emma Thompson, Colin Firth und Juliette Binoche gegen die drohende Steinigung protestiert. Weltweit greifen die Medien das Thema auf. Offenbar mit einem ersten Erfolg: Gestern erklärte die iranische Botschaft in London, man wolle auf die Steinigung verzichten.

Doch damit ist Sakineh längst nicht in Sicherheit: Sie könnte dennoch später gesteinigt oder stattdessen gehängt werden. Oft werden Delinquenten im Iran langsam an Baukränen stranguliert - ein qualvoller Tod. "Außerdem ist die Verlautbarung der Botschaft bislang nur ein politisches Statement", sagte Mina Ahadi gestern dem Hamburger Abendblatt. "Die Justizbehörde oder das Ministerium muss das erklären." Ahadi telefonierte gestern von Köln aus mit Sakinehs Anwalt und mit deren Sohn Sajad. Dieser betonte, dass man kein Vertrauen in die iranische Justiz setzen könne. "Vor rund einem Jahr haben wir eine große Kampagne zur Rettung eines Mannes namens Abdullah Fariba gestartet, der gesteinigt werden sollte", berichtete Mina Ahadi.

Der Justizapparat erklärte angesichts des öffentlichen Drucks, auf die Steinigung verzichten zu wollen. "Und drei Monate später haben sie ihn hingerichtet. Dieses Spiel betreibt das islamische Regime schon lange mit uns", sagte die 53-Jährige, die Gründungsmitglied und Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime ist. "Wenn eine Frau dazu noch attraktiv und selbstbewusst aussieht, dann sagt der Richter: 'Die sieht schon so aus, das ist bestimmt so eine' - und fällt ein Todesurteil. Dieses Urteil im eigenen Ermessen ist ein besonders problematischer Teil dieser barbarischen Gesetzgebung." Ahadi erzählte: "Ich habe mit einer Frau gesprochen, die ebenfalls wegen Ehebruchs zur Steinigung verurteilt worden war. Sie führten ihr einen entsetzlichen Film von einer Hinrichtung vor und drohten, man werde das Gleiche mit ihr machen, wenn sie nicht ein Geständnis unterschriebe." Das tat die Frau - um dann zur Steinigung verurteilt zu werden. "Das ist wirklich ein unglaubliches Regime im Iran", sagte die Menschenrechtlerin