Im Streit um Uno-Tribunal verlässt Schiitenmiliz die Koalition. Ministerpräsident Saad Hariri regiert auf Abruf, obwohl ihm 30 Minister fehlen.

Hamburg. Im Libanon wächst die Angst vor dem politischen Chaos, das am Ende gar in einen neuen Bürgerkrieg münden könnte. Der Auszug der schiitischen Hisbollah-Bewegung aus der Regierung von Ministerpräsident Saad Hariri hat den Zedernstaat in eine brandgefährliche Krise gestürzt. Hariri kann der Verfassung nach eigentlich nicht weiterregieren, nachdem ihm plötzlich elf seiner 30 Minister abhandengekommen sind. Doch der libanesische Staatspräsident Michel Suleiman hat Hariri damit beauftragt, die Amtsgeschäfte so lange weiterzuführen, bis es eine neue Regierung in Beirut gibt.

Hintergrund der Krise ist die Weigerung Hariris, sich von einem Uno-Tribunal zu distanzieren, das die Ermordung seines Vaters Rafik Hariri untersucht. Der fünfmalige libanesische Regierungschef war bei einem Autobombenanschlag am 14. Februar 2005 in Beirut ums Leben gekommen; mit ihm starben weitere 22 Menschen, mehr als 100 wurden verletzt. Der steinreiche und pro-westliche Unternehmer Hariri war der Vater des Wiederaufbaus im Libanon nach dem verheerenden Bürgerkrieg 1975-90. Er versuchte den Einfluss Syriens zurückzudrängen.

Syrien und der Iran sind die Mächte, die die schiitische und radikalislamische Hisbollah finanzieren und trainieren. In der Anklageschrift des Uno-Tribunals, die noch für diesen Monat oder spätestens im Februar erwartet wird, sollen mehrere Hisbollah-Mitglieder als Tatverdächtige genannt werden.

Die Hisbollah und auch Syrien haben sich in den vergangenen Monaten alle Mühe gegeben, das Uno-Tribunal als "israelisches Diffamierungsprojekt" zu diskreditieren. Der Hintergrund: Die Schiitenmiliz und die sie stützenden Staaten fürchten, der politische Einfluss der Hisbollah könne stark abnehmen, falls die Uno ihr die Täterschaft am Mord des im Volk beliebten Rafik Hariri nachweisen könnte. Die Hisbollah stellt sich als Hüter der Moral im Libanon dar - der Nachweis der Verwicklung in das Attentat würde ihren Ruf wohl irreparabel beschädigen.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad hatte vor einigen Monaten gewarnt, eine Anklage gegen die Hisbollah könnte den Libanon "in eine Katastrophe" stürzen. Syrien wird ebenfalls der Drahtzieherei verdächtigt.

Hariri, der am Mittwoch in Washington Rückendeckung bei US-Präsident Barack Obama gesucht hatte, wird vom Westen - namentlich den USA und Frankreich - sowie von Saudi-Arabien und der Türkei unterstützt. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hingegen kann zudem auf Hilfe durch den mächtigen Politiker und früheren Oberbefehlshaber der libanesischen Armee, General Michel Aoun, rechnen.

Libanons Gesellschaft zerfällt in 18 unterschiedliche ethnische und religiöse Gruppierungen; das politische System wird durch einen komplizierten Proporz halbwegs stabil gehalten.

Ein Prozess gegen die Hisbollah, die militärisch stärkste Kraft im Lande, könnte zu einem neuen Ausbruch von Gewalt führen. Dies wiederum könnte einen weiteren Krieg mit Israel nach sich ziehen. Im Sommer 2006 hatten sich die Hisbollah und die israelische Armee einen erbitterten Waffengang geliefert. Israel, das die von der iranischen Revolutionsgarde trainierte und bewaffnete Hisbollah sträflich unterschätzt hatte, gelang kein klarer Sieg. Es wird befürchtet, dass beide Seiten in einem neuen Krieg mit allen Kräften eine Entscheidung suchen würden.

Die Hisbollah und Syrien dürften nun zunächst versuchen, eine neue Regierung in Beirut zu installieren, die das Uno-Tribunal aushebelt. Der Politologe Nadim Shehdi von der Londoner Denkfabrik Chatham House sagte im "Guardian": "Diese Krise reicht bis in die Fundamente des libanesischen Systems. Es ist ein Sprung ins Unbekannte."