Der arabisch-israelische Wissenschaftler Majid al-Haj warnt vor einem Kollaps des Friedensprozesses

Hamburg. Wenn Majid al-Haj aus dem Fenster seiner Arbeitsstätte, der Universität von Haifa hoch oben auf dem Berg Carmel, blickt, sieht er eine Million abgebrannter Bäume - Folge der jüngsten Feuerkatastrophe. "Es ist ein trauriger Anblick", sagt er. "Und es war eine große Tragödie, nicht nur für Haifa, sondern für ganz Israel. Aber wir haben überlebt."

Der in Syrien geborene Professor Dr. Majid al-Haj, Vizepräsident der Uni Haifa, ist der höchstrangige arabischstämmige Wissenschaftler in ganz Israel. Auf Einladung von Sonja Lahnstein, der Vorsitzenden des Vereins zur Förderung des Israel Museums, war al-Haj nun in Hamburg, um an einer Debatte im Rahmen der von Lahnstein initiierten Dialogreihe "Bridging The Gap" (Die Kluft überbrücken) im Bucerius Kunst Forum teilzunehmen.

Ist er nicht manchmal verzweifelt angesichts der Situation im Nahen Osten? "Ja", räumt der israelische Wissenschaftler unumwunden ein. "Ich glaube, dass wir uns heute in einer äußerst heiklen und gefährlichen Phase befinden." Al-Haj, der auch in den USA, in Kanada und Jordanien lehrt, erläutert, dass Israel nach den jüngsten Wahlen im Jahre 2008 in eine neue Phase eingetreten sei, "in der wir den Ansatz von der Konfliktlösung hin zum Konfliktmanagement verlagert haben." Heute ginge es beiden Seiten vornehmlich darum, in den Augen der Welt gut dazustehen - nicht aber, eine echte Lösung herbeizuführen. Doch die Hardliner auf beiden Seiten müssten wohl oder übel miteinander verhandeln. "Sowohl die (radikalislamische Organisation, d. Red.) Hamas als auch (der ultranationalistische israelische Außenminister, d. Red.) Avigdor Lieberman wurden schließlich demokratisch gewählt. Und Frieden schließt man mit Feinden, nicht mit Freunden."

Allerdings habe Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht dieselbe politische Statur wie einst Menachem Begin, der Frieden mit Ägypten schloss. "Für Netanjahu ist die Frage das Wichtigste, wie er seine Koalition vor dem Auseinanderbrechen bewahrt, nicht jedoch der Friedensprozess. Beide Seiten, Israelis wie Palästinenser, glauben, dass sie viel Zeit haben und dass diese Zeit für sie arbeitet. Und in diesem Punkt irren sich beide - denn die Zeit arbeitet für die Extremisten." Noch sei der Friedensprozess zwar nicht tot, aber er kollabiere. "Wir bewegen uns auf eine Ära des Blutvergießens und des fortgesetzten Konflikts zu." "Ich denke, du bist ein Optimist?", wirft Sonja Lahnstein erstaunt ein. "Was ist denn der Unterschied zwischen Optimist und Pessimist?", kontert al-Haj. "Der Pessimist ist ein gut informierter Optimist." Doch ob es tatsächlich zu einem neuen Krieg komme, sei schwer einzuschätzen: "Im Nahen Osten kann man noch nicht einmal die Vergangenheit voraussagen", scherzt der Professor. Um die drei akuten Hauptprobleme des Nahostkonfliktes - die jüdischen Siedlungen auf Palästinensergebiet, der Status von Jerusalem und die Rückkehr von Millionen palästinensischer Flüchtlinge nach Israel - lösen zu können, bedürfe es politischer Führungskraft. "und die haben wir derzeit nicht", sagte al-Haj. "Ich sehe keinen israelischen Führer, der stark genug wäre, die jüdischen Siedlungen zurückzubauen, und keinen palästinensischen, der auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge verzichten könnte."

Majid al-Haj sieht dennoch eine schmale Chance auf ein Friedensabkommen - nämlich dann, wenn die israelische Regierung die 2007 neu aufgelegte Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002 - Kernpunkt: Zurückziehen auf die Grenzen von 1967 gegen Frieden mit der arabischen Welt - akzeptiert. "Israel hätte damit die historische Chance, nicht nur mit den Palästinensern Frieden zu schließen, sondern mit allen arabischen und dazu den meisten islamischen Staaten."