Der zweifelhafte Wahlerfolg von Europas „letztem Diktator“ hat in Weißrussland prompt zu schweren Ausschreitungen geführt.

Minsk/Brüssel. Weißrusslands Präsident Lukaschenko ist wie erwartet zum Wahlsieger ausgerufen worden, Zehntausende Regimegegner gingen deshalb in Minsk auf die Straße - vor allem weil die Wahl von Fälschungsvorwürfen überschattetet wurde. Im Zuge der Demonstration sind im autoritär regierten Weißrussland drei Präsidentschaftskandidaten festgenommen worden. Die Polizei habe Nikolai Statkewitsch, Grigori Kostujew sowie Andrej Sannikow und dessen Ehefrau abgeführt, meldete die unabhängige Agentur Belapan in der Nacht zum Montag aus der Hauptstadt Minsk. Alle drei Bewerber waren in einer Menge von mehreren Tausend Regierungsgegnern, die vor einem Regierungsgebäude gegen das Ergebnis demonstrierte.

Aus Protest gegen den von Staatsmedien verkündeten Wahlerfolg des Staatschefs Lukaschenko zogen tausende Regimegegner in Minsk vor ein Regierungsgebäude und versuchten, die Zentrale Wahlkommission zu stürmen. Die Polizei griff hart durch und nahm Demonstranten fest. Es gab Verletzte. Aus der EU kam scharfe Kritik. Bei den Auseinandersetzungen wurde unter anderem der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Witali Rymaschewski am Kopf verletzt. Zuvor war der Herausforderer Wladimir Nekljajew auf dem Weg zu der nicht genehmigten Kundgebung von Sicherheitskräften krankenhausreif geprügelt worden. Im Zentrum von Minsk hatten sich nach Schließung der Wahllokal trotz Demonstrationsverbots etwa 20 000 Menschen versammelt. Sie forderten eine Annullierung der Wahl. Lukaschenko erhielt bei Wählerbefragungen 79,1 Prozent der Stimmen, wie das regierungsnahe Institut EcooM am Abend mitteilte.

Gegen Mitternacht Ortszeit beruhigte sich die Lage. Die Polizei ließ die Demonstranten abziehen, wie Augenzeugen berichteten. Dabei seien Regimegegner getreten oder mit Knüppeln geschlagen worden. Im Vorfeld der Abstimmung hatte die Bundesregierung freie und faire Wahlen in Weißrussland gefordert. Außenminister Guido Westerwelle hatte bei einem Besuch in Minsk Anfang November zudem demokratische Reformen angemahnt. In diesem Fall werde Deutschland sich dafür einsetzen, dass Weißrussland von der Europäischen Union (EU) unterstützt werde. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will an diesem Montag ihre Einschätzung zu der Wahl bekanntgeben. Auf dem zentralen Oktoberplatz versammelten sich trotz der massiven Polizeipräsenz nach Belapan-Angaben zehntausende Regierungskritiker. Sie schwenkten die alten rot-weiß-roten Fahnen und riefen „Lang lebe Weißrussland!“ und „Wir wollen die Wahrheit!“

Redner behaupteten, Lukaschenko habe die absolute Mehrheit klar verfehlt und müsse sich einer Stichwahl stellen. Bei dem Angriff auf Nekljajew seien Dutzende seiner Mitstreiter festgenommen worden, meldete die unabhängige Agentur Belapan. Ein Polizeisprecher widersprach, es habe keine Festnahmen gegeben. „Wenn die Wahlbüros schließen, gehen wir auf die Straße“, hatte Nekljajew zuvor angekündigt. Nach der Präsidentenwahl 2006 hatten zehntausende Menschen in Minsk gegen den Staatschef demonstriert. Damals erhielt Lukaschenko, der oft als „letzter Diktator Europas“ kritisiert wird, nach offiziellen Angaben 82,6 Prozent der Stimmen. „Ich spüre das Vertrauen des Volkes“, sagte der 56-jährige Lukaschenko bei seiner Stimmabgabe. Seine neun Konkurrenten hatten erwartungsgemäß keine Chance und erzielten lediglich einstellige Ergebnisse. Die Opposition ist zerstritten und konnte sich nicht auf einen gemeinsamen Herausforderer einigen. „Es wird keine Demonstration geben“, hatte der Staatschef noch am Nachmittag angekündigt.

Lukaschenko regiert das Land zwischen Polen und Russland seit 16 Jahren mit harter Hand regiert. Unabhängige Journalisten berichteten, ihre Telefone sowie Internetzugänge und Email-Konten seien gesperrt worden, um Gespräche mit westlichen Medien zu verhindern. „Die schweren demokratischen Defizite bei diesen Wahlen sind nicht zu übersehen“, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne). Dennoch müsse der Dialog mit dem Regime fortgeführt werden, um Lukaschenko Reformen abzufordern. Weißrussland ist das letzte Land in Europa, das die Todesstrafe vollzieht. Für den Fall freier Wahlen hatte die EU nach Angaben des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski drei Milliarden Euro Hilfsgelder in Aussicht gestellt. Weißrussland ist ein wichtiges Transitland für russische Gaslieferungen nach Westeuropa.

Etwa 1000 internationale Wahlbeobachter wollten die Abstimmung kontrollieren, davon etwa die Hälfte von der OSZE. Der deutsche OSZE-Missionschef Geert Ahrens sah im Vergleich zur letzten Wahl nach Medienangaben erhebliche Fortschritte. Er kritisierte aber, dass die staatlich kontrollierten Medien in den Tagen vor der Wahl nur noch über Lukaschenko berichtet hätten. Das Ergebnis 2006 hatte die Organisation nicht anerkannt. Erwartet wurde eine Wahlbeteiligung von etwa 90 Prozent. Zwar gibt es in Weißrussland keine Wahlpflicht, allerdings werden nach Angaben von Beobachtern Studenten, Soldaten oder Arbeiter unter schweren Drohungen gezwungen, für Lukaschenko abzustimmen. (dpa/abendblatt.de)