Das Hamburger Abendblatt sprach mit Prof. Dr. Günther Maihold, dem Vize-Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik über die Lage vor den Wahlen.

Hamburg/Berlin. Die Lage in Haiti ist dramatisch. Die Zahl der Cholera-Toten ist auf etwa 1250 gestiegen. Wie die Behörden mitteilten, wurden inzwischen mehr als 20.000 Menschen in Krankenhäusern behandelt und landesweit fast 53.000 Ansteckungen registriert. Mit einer großen Dunkelziffer bei diesen Zahlen wird gerechnet. Die Bevölkerung hat wegen der Cholera-Epidemie arge Zweifel am Einsatz der Uno. Die Situation nach dem verheerenden Erdbeben ist noch immer angespannt. Und am kommenden Wochenende soll gewählt werden. Das Hamburger Abendblatt sprach mit Prof. Dr. Günther Maihold, Vize-Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Hamburger Abendblatt: Warum ist die Situation in Haiti trotz der internationalen Hilfswelle nach dem Erdbeben und des Uno-Einsatzes jetzt so eskaliert?

Günther Maihold: Der Wiederaufbau in Haiti läuft sehr langsam, da keine belastbaren staatlichen Strukturen vorhanden sind. Zudem ist es sicherlich nicht sinnvoll, wenn die ausländischen Geber als „Ersatzstaat“ agieren, vielmehr steht das Land vor der schwierigen Aufgabe gleichzeitig Staat, Infrastruktur und gesellschaftliches Zusammenleben wiederherstellen zu müssen. Dies ist unter den obwaltenden Bedingungen nur sehr langsam zu bewerkstelligen, mit der Folge, dass auch die Bevölkerung schnell die Geduld verliert.

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War außerhalb der Soforthilfe der Einsatz der Hilfsorganisationen aus Ihrer Sicht erfolgreich?

Maihold: Ohne den Einsatz der internationalen Gemeinschaft wäre die Lage in Haiti schnell aus den Fugen geraten. Das hohe Maß an Gewalt, das die haitianische Gesellschaft kennzeichnet, hätte schnell zu Auseinandersetzungen innerhalb der Bevölkerung führen können. Die zu bewältigende Aufgabe ist jedoch riesig, wenn man an den Umfang der Zerstörung und den bereits vor dem Erdbeben schlechten Zustand der Infrastruktur von Straßen über Schulen bis zu Krankenhäusern denkt. Kleine, regionale Projekte, die zudem Arbeit und Einkommen schaffen, sind hier ein wichtiges Element. Gleichzeitig bedarf es aber auch umfassender Unterstützung für den Wiederaufbau der Infrastruktur.

Wie schätzen Sie derzeit die politische Lage vor den Wahlen ein?

Maihold: Bislang ist der Wahlkampf recht geordnet verlaufen. Allerdings fürchtet sich aufgrund der Cholera-Epidemie aber auch ein Teil der Bevölkerung vor Ansteckung bei Menschenansammlungen und beim Wahlvorgang selbst. Enttäuschung und Wut über das Wahlergebnis bzw. die schlechte Versorgungslage angesichts der Epidemie können schnell in Gewalt umschlagen.

Lässt sich Haiti befrieden oder gilt Haiti nach Ihrer Ansicht bereits als failed state à la Somalia?

Maihold: Der Aufbau staatlicher Strukturen, demokratischer Herrschaft sowie besserer Lebensbedingungen erfordert immense Anstrengungen. Fortschritte sind dabei nur in kleinen Schritten erreichbar. Haiti besitzt dafür gute Voraussetzungen, auch wenn Naturkatastrophen und Epidemien das Land immer wieder zurückwerfen. Wenn die politische Stabilität nach der Wahl gewahrt wird und keine Unruhen auftreten, wäre ein wichtiger Faktor für eine Erholung des Landes gesichert.

War es nur ein Gag, dass sich der aus Haiti stammende Popsänger Wyclef Jean als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen wollte? Oder braucht Haiti mehr Auswahl beim zur Wahl stehenden Personal?

Maihold: Wyclef Jean hatte sich schon immer mit konkreten Projekten in seinem Heimatland engagiert. Er verkörpert den Traum vieler Haitianer, den persönlichen Erfolg im Ausland auch seinem eigenen Land zugute kommen zu lassen. Die Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland sind eine zentrale Einnahme für das Land. Angesichts der Distanz zu etablierten politischen Kräften war Jean der frische und unverbrauchte Kandidat, auf den viele ihre Hoffnung setzten. Zudem verkörperte er die guten Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft, auf die das Land in zentraler Weise angewiesen ist.

Die Haitianer beschuldigen die Uno-Soldaten, die Cholera ins Land gebracht zu haben. Sind Hilfen und Eingriffe der Vereinten Nationen in Haiti überhaupt noch machbar und sinnvoll?

Maihold: Ohne die Uno-Mission wäre ein Wiederaufbau im Lande gar nicht möglich, da nationale Autoritäten die Sicherheit nicht gewährleisten können. Zudem sind einzelne Länder viel angreifbarer als die Weltgemeinschaft. Dass sich die Enttäuschung der Bevölkerung zunehmend gegen die internationalen Helfer wendet, war zu erwarten, aber bislang scheint die Lage noch nicht kritisch zu sein.