Peter Ramsauer besucht eine Region von strategischer Bedeutung. Dem Verkehrsminister geht es um die Förderung der deutschen Wirtschaft.

Urumqi. Als Helmut Schmidt im November 1975 mit der Bundeswehrmaschine "Otto Lilienthal" in Urumqi landete, wird er nicht geahnt haben, dass es 35 Jahre dauern würde, bis ein weiteres deutsches Regierungsmitglied nach Xinjiang reisen sollte. Der damalige Bundeskanzler war in Peking mit Mao Tse-tung zusammengetroffen und hatte über Entspannungspolitik gesprochen. Anschließend wurde Schmidt in Urumqi vom chinesischen Militär empfangen. Ihm zu Ehren tanzte eine Folkloregruppe mit 3000 Jungen und Mädchen.

Als Peter Ramsauer in der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang eintrifft, wartet keine Folkloregruppe. Der Bundesverkehrsminister wird weder vom Generalsekretär der Kommunistischen Partei noch vom Provinzgouverneur empfangen. Beide sind zur Sitzung des Zentralkomitees nach Peking gereist. Daher wird der Besuch aus Deutschland, der zuvor in Peking und Shanghai war, vom stellvertretenden Gouverneur begrüßt, dem Uiguren Kurexi Maihesuti.

Ramsauer geht es um die Förderung der deutschen Wirtschaft in einer Region von strategischer Bedeutung. Xinjiang, das viermal so groß ist wie Deutschland und ein Sechstel des chinesischen Staatsgebiets ausmacht, hat Grenzen zu acht Ländern: Russland, der Mongolei, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Pakistan, Afghanistan und Indien. In Xinjiang liegen auch die größten Öl- und Gasvorkommen des aufstrebenden Landes. Xinjiang ist Chinas Wilder Westen.

Peking wird in den nächsten Jahren viele Milliarden Euro in die rückständige Region im Nordwesten leiten, um die Lebensverhältnisse zu verbessern. 15 Flughäfen sollen in Xinjiang in den nächsten fünf Jahren gebaut werden. 90 Prozent der Städte sollen Anschluss an die Eisenbahn erhalten. Dazu kommen neue Autobahnen, Kohlekraftwerke, Kläranlagen. Und mancher Planer träumt schon von einer U-Bahn in Urumqi. Die Entwicklung der Westprovinzen soll 2011 im zwölften Fünfjahresplan der Volksrepublik zur Priorität erhoben werden. Ou Song, ein Unternehmensberater aus Shanghai, der im Saarland aufgewachsen ist, sagt: "Das ist eine Riesenchance für die deutsche Wirtschaft, vor allem für Unternehmen aus dem Bau- und Verkehrssektor."

Peking will aber nicht nur die Infrastruktur ausbauen, sondern auch in Erziehung investieren - aus Gründen, über die chinesische Politiker am liebsten gar nicht sprechen. Die Führung wurde aufgeschreckt am 5. Juli vergangenen Jahres, als Uiguren und Han-Chinesen einander regelrecht abschlachteten. 200 Tote und 1700 Verletzte gab es in Urumqi. Die Staatsmacht griff hart durch: Mehrere Hundert Menschen wurden verurteilt, 25 von ihnen zum Tode.

Von den 21 Millionen Menschen, die in Xinjiang leben, sind neun Millionen Uiguren und mittlerweile acht Millionen Han-Chinesen - Ergebnis einer rigorosen Umsiedlungspolitik. Vor 50 Jahren lag der Anteil der Han-Chinesen, die in der Volksrepublik die dominierende Gruppe sind, in Xinjiang gerade bei sechs Prozent. Viele Uiguren, die dem muslimischen Glauben angehören, fühlen sich als Menschen zweiter Klasse. Ihnen werden Aufstiegschancen verwehrt. Die Arbeitslosigkeit in ihrer Volksgruppe ist höher, die Lebenserwartung geringer.

Die meisten Aufständischen seien arbeitslose Jugendliche gewesen - sagen die einen. Die anderen sprechen von Separatisten, die Xinjiang von China abspalten und in einem neuen Staat Ostturkestan aufgehen lassen wollten. Es gibt uigurische Gruppen, die von Amerikanern und Europäern als Terrororganisationen mit Kontakt zu al-Qaida eingestuft werden. In westlichen Geheimdiensten hielt sich eine Zeit lang die Theorie, Osama Bin Laden halte sich in Xinjiang versteckt.

Der offizielle Empfang am Sonntagabend findet im Hotel Yin Du statt, in dem Ramsauer mit seiner Wirtschaftsdelegation abgestiegen ist. Der CSU-Politiker überlässt es seinem Parteifreund Michael Glos, das heikle Thema anzusprechen. Der frühere Wirtschaftsminister, der als Abgeordneter mit in den Fernen Osten gereist ist, erkundigt sich, was die Unruhen für Investoren bedeuteten. Die Antwort des Vizegouverneurs fällt stereotyp aus. Feindliche Kräfte aus dem Ausland hätten den Aufstand provoziert, weil ihnen Chinas Erfolg ein Dorn im Auge sei, sagt Maihesuti. Uiguren und Han-Chinesen lebten sonst stets friedlich zusammen. "Wie eine Familie."

Auch in kleiner Runde, beim anschließenden Bankett, gibt sich der stellvertretende Verwaltungschef selbstgewiss. Er bringt den Völkermord auf dem Balkan in den Neunzigerjahren zur Sprache - der nicht allzu weit von Ramsauers bayerischer Heimat entfernt stattfand.

In Urumqi leben annähernd drei Millionen Menschen. Die Uhren ticken für Uiguren buchstäblich anders als für Han-Chinesen: Die Angehörigen des Turkvolkes lehnen es ab, sich der Einheitszeit anzupassen, die Peking verordnet hat - und richten sich nach der zentralasiatischen Zeitzone, die um zwei Stunden von der chinesischen abweicht. Dafür tragen die Verkehrsschilder chinesische und arabische Schriftzeichen. Immer neue Hochhäuser schießen aus dem Boden, manche bleiben als Bauruine stehen. "Wie in Shanghai wird es hier nie aussehen", sagt Unternehmensberater Ou. "Aber Urumqi wird in den nächsten Jahren einen enormen Sprung machen."

Es sind Vertreter überwiegend süddeutscher Unternehmen aus dem Bausektor, denen Ramsauer im Fernen Osten die Tür öffnen will. Sie erkennen die Chancen in Xinjiang, sind aber deutlich zurückhaltender als an der chinesischen Ostküste oder zuvor in der Mongolei. Der Tenor auf gut Bayerisch: Schaun mer mal.

Das ist auch beim Besuch des größten Herstellers von Windanlagen in der Volksrepublik zu spüren. Goldwind am Stadtrand von Urumqi hat eine Erfolgsgeschichte zu erzählen, wie sie typisch für chinesische Unternehmen geworden ist. Es begann mit einer kleinen Windfarm, die alsbald mit deutschen Firmen kooperierte. Inzwischen gehört Goldwind zu den Unternehmen mit den größten Anteilen am Weltmarkt. Ein Delegationsmitglied beschleicht Unbehagen. "Sie verkaufen deutsche Technologie auf dem Weltmarkt", sagt der Mann besorgt. "Sie machen uns Konkurrenz und verdrängen am Ende unsere Firmen."

Ob Helmut Schmidt die rasante Entwicklung ahnte, als er vor fast genau 35 Jahren einen Zwischenstopp in Urumqi einlegte?