Ein Kreuz zum Gedenken an den Ex-Präsidenten sorgt für Diskussionen. Gegner berufen sich auf die Trennung von Kirche und Staat.

Hamburg/Warschau. Nun hat auch Polen seinen Streit um das Kreuz. Nicht um Kruzifixe in Schulen oder öffentlichen Gebäuden wie in Deutschland oder Italien, sondern um ein ganz spezielles Kreuz: jenes, das Pfadfinder zum Andenken an den tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski vor dem Präsidentenpalast in Warschau errichtet haben. Es wird von strenggläubigen Katholiken und Verehrern des nationalkonservativen Staatsoberhauptes wie ein Heiligtum verteidigt. Die Gegner verlangen seine Entfernung.

In der Nacht zum Dienstag hatten Tausende überwiegend junge Menschen stundenlang gegen das Verbleiben des Kreuzes vor dem Amtssitz des neuen Präsidenten, Bronislaw Komorowski , demonstriert. In Sprechchören forderten sie eine Räumung des religiösen Symbols, das nach ihrer Auffassung das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche verletzt. Anhänger und Gegner des Kreuzes beschimpften sich gegenseitig, es kam vereinzelt zu Handgreiflichkeiten. Starke Polizeikräfte verhinderten Zusammenstöße.

Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski, der die Präsidentschaftswahl gegen Komorowski verloren hatte und nun Oppositionsführer ist, legte gestern an dem heiß umstrittenen Ort einen Blumenkranz nieder. Kaczynski-Anhänger spendeten ihm Beifall und riefen "Jaroslaw, Jaroslaw".

Schon als die Behörden vergangene Woche das Kreuz umsetzen wollten, wurden sie von wütenden Demonstranten daran gehindert und gaben schließlich nach. Auch an diesem Umstand stören sich die Gegner. "Polen ist ein Land, wo Recht und Gesetz herrschen", stand auf einem der Transparente der Kreuz-Kritiker.

Um die katholisch-fundamentalistischen Demonstranten nicht jeden Tag beim Arbeitsbeginn zu erleben, zieht Komorowski vorerst in eine andere Residenz - ins Schloss Belweder. Dort hatte er im Juli als seinen ersten ausländischen Gast Bundespräsident Christian Wulff empfangen.

Erzbischof Jozef Michalik von Przemysl warf den streitenden Parteien vor, das für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk errichtete Kreuz politisch zu instrumentalisieren. Am schärfsten kritisierte er den "kämpferischen Atheismus" der sozialdemokratischen Oppositionspartei SLD. Zugleich begrüßte Michalik den Vorschlag des Warschauer Erzbischofs Kazimierz Nycz, das Holzkreuz in die Sankt-Anna-Kirche zu verlegen. Nicht die Kirche, sondern vor allem der neue Staatspräsident Komorowski müsse den Streit lösen, so der Erzbischof.

Danuta Glondys, Direktorin der "Villa Decius", des Zentrums für Kulturellen Dialog in Krakau, sagte dem Abendblatt: "Jaroslaw Kaczynski benutzte den Tod seines Bruders auch während des Wahlkampfes um das Präsidentenamt. Diese Instrumentalisierung eines Toten gab es so noch nie zuvor. Deshalb polarisiert der Umgang mit dem Grab von Lech Kaczynski auch so viele Polen." Ihrer Meinung nach verdienten alle 96 Opfer der Katastrophe von Smolensk die gleiche Aufmerksamkeit. "Die Proteste gegen das Kreuz zeigen auch, dass die kommunalen Politiker nicht rechtzeitig und entschieden reagiert haben. Jetzt erwarten viele Menschen ein schnelles Handeln von der Regierung."

Im streng katholischen Polen kommt es immer wieder zu gesellschaftlichen Konflikten um die Religion. Der Streit um das Gedenkkreuz ist nur der jüngste Anlass, und die Gräben sind tief. Mit dem Tod von Lech Kaczynski auf dem Flug zum Gedenken an die polnischen Stalin-Opfer im Wald von Katyn und der anschließend von Jaroslaw verlorenen Präsidentenwahl ging auch ein Richtungswechsel in der polnischen Politik einher. Statt der strenggläubigen, erzkonservativen, den gegenüber den Nachbarn Russland und Deutschland stets sehr skeptischen Kaczynskis, die auch eher mit Amerika als der EU sympathisierten, regiert jetzt Bronislaw Komorowski. Er ist liberal, setzt auf Verständigung mit den Nachbarn und hat die Parole "Europa zuerst!" ausgegeben. Das ganze Gegenteil seiner Vorgänger also, und damit ist auch schon das Grundproblem aktueller polnischer Politik umschrieben.

In einer entsprechend vergifteten Atmosphäre hat Komorowski am vergangenen Freitag sein Amt angetreten. Zwar warb er in seiner ersten Rede nach der Vereidigung vor mehr als 500 Abgeordneten und Senatoren in Warschau um innenpolitischen Frieden. "Wir brauchen mehr Ruhe und Verständigung, aber viel weniger Kampf, gegenseitige Abneigung, Verachtung und manchmal auch Hass", mahnte er. Sein Amtssitz sei offen für Vertreter aller Parteien, Weltanschauungen und Gesellschaftsgruppen. Er wolle sich auch um Verständnis und Anerkennung der fast acht Millionen Wähler bemühen, die ihre Stimme seinem Gegner Jaroslaw Kaczynski gegeben hätten. Doch Kaczynski blieb der Zeremonie demonstrativ fern. Das sei "relativ selbstverständlich", sagte der Fraktionsvorsitzende der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Mariusz Blaszczak. Komorowski habe schließlich die Hauptrolle bei allen Hetzkampagnen gegen Lech Kaczynski gespielt.

Der frühere Präsident Aleksander Kwasniewski wertete Kaczynskis Fehlen dagegen als Beweis dafür, dass er die demokratischen Regeln missachte. Die Nationalkonservativen wollen polnischen Medien zufolge mithilfe radikalisierter Sprache ihre Anhänger vor den Kommunalwahlen in diesem Herbst mobilisieren. Ihr Ziel bleibt aber der Sieg bei der Parlamentswahl 2011.