Der Rückzug der US-Truppen aus dem Irak läuft auf vollen Touren. Camp Victory in Bagdad ist der Dreh- und Angelpunkt des Abzugs.

Bagdad. Die Truppen kommen nach Hause. Siegesfeiern gibt es nicht. Professionell, freudlos und ohne Fanfaren hat US-Präsident Barack Obama das Ende der amerikanischen Militäraktionen im Irak verkündet. Bis Ende August würden 90.000 Soldaten in seiner Amtszeit aus dem Irak heimgekehrt sein. Dies habe er kurz nach seinem Amtsantritt angekündigt, "und das ist genau das, was wir tun". Nahezu lautlos vollzieht sich schon seit Monaten der Abzug der Amerikaner aus dem Irak. Eine gigantische logistische und organisatorische Herausforderung. Lediglich nach Mitternacht sieht man zuweilen Kolonnen von Panzern, Humvees und Minensuchfahrzeugen über Bagdads Tigrisbrücken rattern. Sie sind auf dem Weg nach Süden, ins Nachbarland Kuwait, von wo sie vor sieben Jahren gekommen waren, und wo die Amerikaner noch immer eine ihrer größten Militärbasen im Mittleren Osten unterhalten. Ein Krieg wird abgewickelt.

Ein Teil des schweren Militärgeräts wird nach Afghanistan weitertransportiert, der Rest zurück in die USA verschifft. "Über 32.000 rollendes Gefährt haben wir schon außer Landes geschickt", informiert Generalmajor Gus Perna, der für den Rückzug aus Camp Victory verantwortlich ist. Die Militärbasis am Bagdader Flughafen war mit ehemals bis zu 15.000 Soldaten einer der größten US-Stützpunkte im Irak. Zwar wird die Basis mit weiteren sieben Stützpunkten auch weiterhin aufrechterhalten, doch von ehemals 146.000 US-Soldaten zu Beginn des sogenannten Surge, des Sicherheitsplans von General David Petraeus, der im Februar 2007 in Kraft gesetzt wurde, werden nur noch 50.000 übrig bleiben. Und auch diese sollen bis Ende nächsten Jahres vollständig abgezogen sein. Das Engagement Amerikas verlagert sich auf einen von Diplomaten geführten zivilen Einsatz. Die neu gebaute US-Botschaft in Bagdads Grüner Zone ist jetzt schon die größte diplomatische Vertretung Washingtons weltweit.

Der leise Abgang der Amerikaner hat System. Seit dem Amtsantritt Obamas im Weißen Haus hat sich ihr Auftreten im Irak grundlegend verändert. Während noch zu George Bushs Zeiten die Besatzermentalität unverhohlen zutage trat, wurde im letzten Jahr die Haltung "Wir sind nur Gäste hier" eingeübt. Respekt vor der irakischen Bevölkerung wurde zum vorrangigen Gebot. Am deutlichsten erkennt man den Strategiewechsel an den Berichten der US-Journalisten. Eingebettet in die Truppenverbände wurden nicht selten "ihre" Soldaten zu Helden geschrieben, auch als die Zahlen der zivilen Opfer Monat für Monat ins schier Uferlose stiegen. Wer heute mit den Truppen mitgeht, wird kurz gehalten und auf die offiziellen Statements des Pentagon verwiesen oder auf die seltener werdenden Pressekonferenzen des Oberkommandierenden der US-Truppen im Irak, General Ray Odierno. Sicherlich ist diese neue Zurückhaltung auch dem medialen Fehltritt General Stanley McChrystals in Afghanistan geschuldet, der auch im Irak gedient hat. Ebenso den von Wikileaks veröffentlichten Geheimdokumenten, die das militärische Engagement der Amerikaner in Afghanistan und auch sonst in Zweifel stellen. Der lockere Umgang zwischen Journalisten und Militärs, wie er früher der Fall war, ist jedenfalls auch im Irak vorbei.

Stattdessen blanke Zahlen: Es dauere eine Stunde, bis ein Fahrzeug transportklar und weitere drei bis fünf Tage, bis ein Konvoi zusammengestellt sei. Zwischen 30 und 40 Fahrzeuge verlassen das Camp Victory täglich, zwischen 50 und 70 Container mit militärischer Ausrüstung werden pro Tag nach Kuwait geschickt. Generalmajor Gus Perna hat für den reibungslosen Abtransport zu sorgen. Alles könne man aber nicht mitnehmen, sagt der junge Soldat. Güter im Wert von 91,4 Millionen Dollar seien bereits der irakischen Regierung übergeben worden. Einige Hubschrauber und anderes Fluggerät würden von der irakischen Armee übernommen und den Amerikanern abgekauft. Munition bleibe ebenfalls hier. Ihr Rücktransport wäre teurer als der Anschaffungswert. Was damit geschehe? Perna zuckt mit den Schultern. Gerüchte, wonach diese bereits auf irakischen Märkten verscherbelt würde, will er nicht kommentieren.

Im Camp Victory laufen viele Fäden zusammen. Die Basis ist der Dreh- und Angelpunkt des Abzugs. Aus den Militärstützpunkten im Norden und in der Mitte Iraks kommen Gerätschaften, Material, Fahrzeuge, Mobiliar - einfach alles, um hier sortiert, gelistet und abtransportiert zu werden. Hier wird entschieden, was mit den Dingen passiert. Ausgediente Militärlaster werden ausgeschlachtet, brauchbare Teile an Schrotthändler verkauft, andere vernichtet. Dutzende Computer und Drucker werden in riesigen Schreddermaschinen zerstört. Camp Victory gleicht derzeit einem großen Ersatzteil- und Umzugslager. Schon von Anfang an war das Camp rund um den Flughafen der wichtigste strategische Ort für die Amerikaner. Dessen Sicherung hatte erste Priorität. Als der Widerstand am stärksten war, wurde der Flughafen zur einzigen Oase im Meer des Terrors, die Flughafenstraße zur Todesmeile. George Bush besuchte lange Zeit die Truppen nur am Airport, brachte Truthahn zu Weihnachten und Süßigkeiten zu Thanksgiving. Auch heute noch treffen sich viele ausländische Geschäftsleute lieber am sicheren Flughafen, als in die noch immer von Bombenanschlägen heimgesuchte Innenstadt zu fahren. Seit gut zwei Jahren dient der hintere Teil den Militärs, im vorderen hat die zivile Luftfahrt Einzug gehalten. Von einem Teil zum anderen zu gelangen ist ein schier unüberwindbarer bürokratischer und sicherheitstechnischer Aufwand und dauert oft Stunden. Nirgends liegt die irakische und die amerikanische Realität so dicht beieinander - und nirgends sind die Welten schon so drastisch getrennt.

General Odierno gibt sich wortkarg: "Der Abzug verläuft nach Plan!" Schon mehr als 500 Militärbasen wurden bereits den Irakern übergeben, weitere 16 sollen bis Ende August folgen. Camp Victory wird den Amerikanern erhalten bleiben, wenn auch mit verminderter Truppenstärke. Ob die Präsenz im derzeit konfliktreichen Norden um die Städte Mosul und Kirkuk erhalten bleibe, will ein Journalist vom US-Oberkommandierenden im Irak wissen. Der Disput um die Verwaltung von Gebieten, die Araber und Kurden gleichermaßen beanspruchen, ist noch immer nicht beigelegt und birgt große Gefahren neuer gewaltsamer Auseinandersetzungen. Außerdem würden in Bagdad und den umliegenden Provinzen die Anschläge in den vergangenen Wochen wieder zunehmen.