Chen Guangcheng schlug sich mit Hilfe zahlreicher Verbündeter 500 Kilometer weit nach Peking durch und wandte sich dort an die US-Botschaft.

Peking. Berichte über die Flucht eines chinesischen Dissidenten in die US-Botschaft in Peking haben die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern am Wochenende auf eine Probe gestellt. Zunächst bestätigte keine Seite den Vorfall offiziell. Hinter den Kulissen werde allerdings über das Schicksal des Bürgerrechtlers Chen Guangcheng verhandelt, teilte die US-Menschenrechtsgruppe ChinaAid mit.

"Chen steht unter dem Schutz der USA, und derzeit laufen auf höchster Ebene Gespräche zwischen chinesischen und amerikanischen Regierungsvertretern über Chens Status", hieß es in der Erklärung von ChinaAid. Die mutmaßliche Flucht des blinden Aktivisten kommt für die beiden Großmächte zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Wegen Überlegungen in der US-Regierung, Kampfflugzeuge an Taiwan zu verkaufen, ist die Beziehung zwischen Peking und Washington derzeit ohnehin angespannt. Zudem werden US-Außenministerin Hillary Clinton und Finanzminister Timothy Geithner am Donnerstag zu strategischen Gesprächen in Peking erwartet.

+++ Blinder Bürgerrechtler Chen flüchtet in US-Botschaft +++

Vor dem wichtigen Treffen versuchen die USA nun offenbar die Wogen zu glätten. Der Ministerialdirektor für Asien im US-Außenministerium, Kurt Campbell, änderte kurzfristig seine Reisepläne und traf bereits gestern Morgen in Peking ein. Das US-Außenministerium wollte zu Fragen, ob Campbell wegen der drohenden Krise früher als geplant nach China geschickt worden sei, nicht Stellung nehmen.

Klar ist, dass den USA kaum an einer Eskalation der diplomatischen Krise gelegen sein dürfte. Washington braucht bei mehreren Themen die Unterstützung Chinas - etwa in den Atomkonflikten mit dem Iran und Nordkorea und zur Erhöhung des Drucks auf die Regierung in Syrien. Bob Fu, der Leiter von ChinaAid, wertet den Fall als Bewährungsprobe für die USA und ihr Image bei der Wahrung von Menschenrechten. "Wegen Chens großer Bekanntheit muss die Obama-Regierung zu ihm stehen, oder sie riskiert, ihre Glaubwürdigkeit als Verteidiger der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit zu verlieren", sagte er.

Der blinde Bürgerrechtler Chen war offenbar schon vor einer Woche nach eineinhalb Jahren aus seinem Hausarrest entkommen. Am Freitagnachmittag habe Chen einen "zu 100 Prozent sicheren Ort" erreicht, sagte Fu. Der Bürgerrechtler Hu Jia traf Chen nach eigenen Angaben und sprach mit Bekannten des Bürgerrechtlers. Diese hätten ihm gesagt, dass Chen an einem sicheren Ort sei. "Es gibt nur einen 100 Prozent sicheren Ort in China, und das ist die US-Botschaft." Hus Frau Zeng Jinyan schrieb am Wochenende auf Twitter, ihr Ehemann sei festgenommen und verhört worden.

Chen ist eine der Schlüsselfiguren der chinesischen Bürgerrechtsbewegung. Er ist seit einer Erkrankung in der Kindheit blind und setzte sich gegen Zwangsabtreibungen und -sterilisationen ein. Bis September 2010 verbüßte er dafür eine vierjährige Haftstrafe, seither stand er unter Hausarrest.