Vier Franzosen sterben vor einer jüdischen Schule in Toulouse. Für die Tat wurde dieselbe Waffe wie beim Anschlag auf Soldaten zuvor benutzt.

Hamburg/Toulouse. Es war wenige Minuten nach 8 Uhr gestern Morgen, kurz bevor der Unterricht in der jüdischen Privatschule Ozar Hatorah im Nordosten der französischen Stadt Toulouse beginnen sollte. Vor dem Gebäude in der Rue Jules Dalou standen mehrere Kinder mit ihren Eltern. Ein Mann näherte sich auf einem schwarzen Motorroller und eröffnete ohne Warnung das Feuer mit zwei automatischen Pistolen. Der 30-jährige Religionslehrer Jonathan Sandler brach als Erster tödlich getroffen zusammen, Sekunden später starben auch seine beiden Kinder im Alter von drei und sechs Jahren.

Der Täter, der einen Motorradhelm trug, stieg in aller Ruhe ab, folgte den fliehenden Kindern und schoss weiter wahllos um sich. Ein zehnjähriger Junge starb als Nächster im Kugelhagel. Mehrere Personen, darunter ein 17-Jähriger, wurden zum Teil schwer verletzt. Dann schwang sich der Mörder auf seinen Roller und verschwand im morgendlichen Berufsverkehr. Die überlebenden Kinder retteten sich in das Schulgebäude und wurden erst zwei Stunden später einzeln von der Polizei in Sicherheit gebracht.

Nicht nur Toulouse, ganz Frankreich steht unter Schock. Vor der Schule lagen sich Eltern und Kinder weinend in den Armen. Staatspräsident Nicolas Sarkozy traf am Mittag in Begleitung von Erziehungsminister Luc Chatel und dem obersten Repräsentanten der jüdischen Gemeinde in Frankreich (CRIF), Richard Prasquier, am Tatort ein. Auch der französische Großrabbiner Gilles Bernheim eilte in die südfranzösische Stadt. Sarkozy sprach von einer "entsetzlichen Tragödie", von der die gesamte Republik berührt sei.

Die Polizei riegelte den Stadtteil von Toulouse, in dem sich die jüdische Schule befindet , ab und setzte auch Hubschrauber zur Fahndung nach dem Mörder ein. Die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Schulen in Frankreich wurden verstärkt. Deutschlands westlicher Nachbar hat mit bis zu 700 000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Europa. Allein in Toulouse leben rund 25 000 Juden.

Erste Ermittlungen ergaben, dass die Geschosse einer der beiden Waffen, die der Täter benutzte, einen Durchmesser von 11,43 Millimeter aufwies; dies deutet auf das Kaliber .45 ACP hin, das eine große kinetische Wucht beim Eindringen in einen menschlichen Körper entfaltet. Es handelt sich um dieselbe Waffe, vermutlich einen "Colt Government" Modell 1911, eine alte Militärwaffe, mit der vor wenigen Tagen drei französische Soldaten ermordet worden waren. Auch in diesen Fällen war der Täter auf einem Motorrad oder Motorroller unterwegs gewesen und hatte einen Helm mit abgedunkeltem Visier getragen.

Am 11. März war - ebenfalls in Toulouse - ein 39-jähriger Soldat des Francazahl-Regiments, auf seinem Motorroller sitzend, mit einem Kopfschuss getötet worden. Vier Tage später, am 15. März, wurden im nur 50 Kilometer entfernten Montauban zwei weitere Soldaten vor einem Geldautomaten ermordet. Ein dritter wurde durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Die drei Männer waren im Alter von 24, 26 und 28 Jahren. Sie alle waren Fallschirmjäger und gehörten Einheiten an, die bereits mehrfach in Afghanistan eingesetzt waren. Die drei getöteten Soldaten waren nordafrikanischer Abstammung; der Schwerverletzte war ein Schwarzer aus dem französischen Überseegebiet Guadeloupe. Nach diesen Morden waren die Sicherheitsvorkehrungen in der Region Toulouse für Soldaten verschärft worden; so durften sie keine Uniform mehr beim Ausgang tragen. Doch der in Toulouse erschossene Soldat hatte keine Uniform getragen, war aber dennoch vom Täter als Armeeangehöriger identifiziert worden.

Sarkozy ordnete für heute eine Schweigeminute in allen Schulen Frankreichs an. "Es sind unser aller Kinder", sagte der Präsident. "Das sind nicht nur eure Kinder. Es sind die unsrigen." Sarkozy versicherte: "Der Hass, die Grausamkeit, dürfen nicht gewinnen." Verteidigungsminister Gerard Longuet sagte, bei dem Täter handle es sich vermutlich um einen "Geistesgestörten", aber er könne auch ein terroristisches Verbrechen nicht ausschließen. Mit Blick auf die Morde und die grade laufende heiße Phase des französischen Präsidentschaftswahlkampfes warnte Didier Martinez, Chef der regionalen Polizeigewerkschaft SGP, vor voreiligen Schuldzuweisungen. "Wir sind in einer aufgeheizten Atmosphäre, und es ist zu früh für diese oder jene Hypothese", sagte Martinez.

+++ Sarkozy verkündet höchste Terrorwarnstufe für Toulouse +++

Die Umstände der Morde legen jedoch die Vermutung nahe, dass es sich um einen Täter handeln dürfte, der entweder aus rassistischen oder politischen Motiven handelt. Wie die Konferenz Europäischer Rabbiner in Brüssel verurteilte auch Israel die Morde scharf. "Wir verfolgen die Nachrichten aus Toulouse mit Entsetzen", sagte der israelische Außenamtssprecher Jigal Palmor in Jerusalem. "Wir vertrauen den französischen Behörden und sind sicher, dass sie dieses Verbrechen aufklären und die Täter vor Gericht bringen werden." Der Präsident der Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, sagte: "Die schreckliche Tat ist bezeichnend für eine Gesellschaft, in der Intoleranz zugelassen wird."

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einem "blinden Verbrechen". "Nichts ist unerträglicher als die Ermordung unschuldiger Kinder", sagte Barroso in Brüssel. Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich "tief bestürzt" und erklärte, Antisemitismus und Gewalt gegen jüdische Einrichtungen oder Menschen jüdischen Glaubens hätten in Europa keinen Platz und müssten konsequent geahndet werden.