Extremisten wollen “mit der Hilfe Allahs für jeden einzelnen Märtyrer“ Vergeltung üben. Parlament: Volk verliert Geduld mit ausländischen Truppen.

Hamburg/Kabul. Einen Tag nach nach den tödlichen Schüssen eines US-Soldaten auf 16 Zivilpersonen im Süden Afghanistans haben die Taliban Vergeltung angekündigt. "Amerikanische Wilde“ hätten im Bezirk Pandschwai ein "blutgetränktes und inhumanes Verbrechen“ begangen, erklärten die Taliban am Montag auf ihrer Website. Nach US-Angaben wurde die Tat in zwei Dörfern am Sonntagfrüh von einem einzelnen US-Soldaten verübt, der festgenommen wurde. Afghanische Stellen haben aber Zweifel an der Einzeltäterthese geäußert.

Die Taliban versicherten den Angehörigen der Opfer, sie würden "mit der Hilfe Allahs für jeden einzelnen Märtyrer“ Rache nehmen. Die US-Truppen in Afghanistan verstärkten bereits ihre Sicherheitsvorkehrungen. Die amerikanische Botschaft warnte alle Amerikaner in Afghanistan vor möglichen Vergeltungsangriffen. Auch das afghanische Parlament verurteilte das Massaker. Das afghanische Volk verliere angesichts des "willkürlichen Vorgehens der ausländischen Truppen“ die Geduld, erklärte das Abgeordnetenhaus am Montag.

Am Sonntag hatte ein US-Soldat in der südafghanischen Provinz Kandahar bei einem mutmaßlichen Amoklauf 16 Dorfbewohner erschossen. Zusammen mit der versehentlichen Verbrennung von Exemplaren des Koran dürfte sich die anti-amerikanische Stimmung im Land noch verschärfen. Viele Afghanen sind der Ansicht, dass es Zeit für die USA und die Nato ist, das Land zu verlassen.

Der Amoklauf könnte nach Einschätzung der Regierung in Kabul negative Auswirkungen auf das geplante Abkommen über eine strategische Partnerschaft beider Ländern haben. Die Unterzeichnung des Abkommens könnte sich verzögern, sagte ein Regierungsvertreter am Montag. Über das Abkommen wird seit mehr als einem Jahr verhandelt. Es soll die Rahmenbedingungen für eine weitere Präsenz der USA in Afghanistan auch nach dem geplanten Abzug der Kampftruppen 2014 schaffen.

Afghanische Politiker zweifeln an der Einzeltäterthese

Unterdessen haben afghanische Politiker Zweifel an der Einzeltäterthese des US-Soldaten geäußert. Abdul Rahum Ajubi, Abgeordneter für die Provinz Kandahar, sagte am Montag, es scheine für einen Soldaten unmöglich, die Strecke zwischen den angegriffenen Häusern - rund zwei Kilometer - zurückzulegen und außerdem die Leichen zu verbrennen. Die Berichte, die er von Dorfbewohnern erhalten habe, legten nahe, dass die Schüsse vor Sonnenaufgang aus mehreren Richtungen kamen, sagte auch der Parlamentsabgeordnete Bismullah Afghanmal. Allerdings erklärte der Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums, General Mohammed Sahir Asimi, die ersten Berichte deuteten auf einen einzelnen Schützen hin. Die US-Streitkräfte gehen nach eigenen Angaben bislang ebenfalls von einem Einzeltäter aus.

"New York Times“: Amokschütze ist Familienvater

Die "New York Times“ zitierte am Montag in ihrer Online-Ausgabe Dorfbewohner, die sagten, der Unteroffizier sei von Tür zu Tür gegangen und schließlich in drei verschiedene Häuser eingedrungen. Dort habe er seine Opfer getötet und mehrere der Leichen verbrannt, darunter auch die von vier Mädchen im Alter von unter sechs Jahren. Nach afghanischen Regierungsangaben ermordete der Soldat insgesamt 16 Zivilisten, darunter neun Kinder und drei Frauen.

Die "New York Times“ berichtete weiter, der Unteroffizier sei von seiner Basis im Unruhedistrikt Pandschwai aus mehr als eine Meile (1,6 Kilometer) weit zum Tatort gelaufen. Der mutmaßliche Einzeltäter habe sich anschließend ergeben. Bei ihm handele es sich um einen 38-jährigen Feldwebel, der verheiratet sei und zwei Kinder habe. Er sei seit vergangenem Dezember in seinem ersten Afghanistan-Einsatz. Zuvor sei er dreimal im Irak stationiert gewesen.

Wie kam der Amokschütze aus seiner Basis?

Das Massaker in Südafghanistan wirft nicht zuletzt auch die Frage auf, wie der Amokschütze mitten in der Nacht seine Militärbasis verlassen konnte. Die Stützpunkte sind von Mauern und Stacheldraht umgeben und werden von bewaffneten Posten bewacht. Sie sind extrem gut gesichert. Das gilt erst recht in einem Unruhedistrikt wie Pandschwai.

Es ist fast unmöglich, unbemerkt in einen Stützpunkt einzudringen. Auch ein unbemerktes Verlassen mag für jemanden mit Kenntnis der Sicherheitsvorkehrungen zwar nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Einfach ist es aber nicht.

Soldaten in Afghanistan ist es aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt, ihre Stützpunkte ohne Auftrag zu verlassen. Ebenso dürfen sie sich außerhalb der Lagermauern nicht alleine bewegen. Dass der Täter sich ordnungsgemäß abmeldete, ist daher extrem unwahrscheinlich.

Mit Material von dpa, rtr und dapd