Dienstjubiläum im Buckingham-Palast: Vor genau 60 Jahren wurde Elizabeth II. Königin. Für die Briten ist sie Symbol zeitloser Stabilität.

Als Winston Churchill am Morgen des 6. Februar 1952 erfährt, dass George VI. tot ist, kommen ihm die Tränen. Der britische Premier weint um den Monarchen, den er geschätzt und gemocht hat. Und er bedauert die Thronfolgerin: "Ich kenne sie doch gar nicht, und sie ist doch noch ein Kind." Elizabeth ist 25, Churchill 77, mehr als dreimal so alt. Vor 60 Jahren bestieg Elizabeth II. den britischen Thron. Keiner außer Queen Victoria (63 Jahre und sieben Monate) hat in der englischen Geschichte so lange regiert wie sie.

Elizabeth, 85, gehört zu Großbritannien wie Big Ben, die Tower Bridge, Fish 'n' Chips und Popmusik. Niemand ihrer Untertanen, der jünger als 60 Jahre ist, hat je ein anderes Staatsoberhaupt erlebt als "Ihre Majestät Elizabeth II., von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland sowie Ihrer sonstigen Reiche und Besitzungen, Oberhaupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens".

Dabei war es Elizabeth Alexandra Mary bei ihrer Geburt am 21. April 1926 keineswegs in die Wiege gelegt, einmal die Königskrone zu tragen. Erst die Abdankung ihres Onkels Edward VIII. aus Liebe zur geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson am 11. Dezember 1936 machte ihren Vater zum König und Elizabeth zur Kronprinzessin. Vergeblich betete sie um einen Bruder, der dann in die Thronfolge eingeschert wäre. Elizabeth hätte lieber das Leben einer Gutsherrin mit Pferden und Hunden, Jagdgesellschaften und viel Bewegung an der frischen Luft geführt. Aber sie fügte sich in ihr Schicksal. Gewissenhaft bereitete sie sich auf ihre Aufgaben vor. Schon an ihrem 21. Geburtstag versprach sie den Menschen im Empire: "Ich werde dienen - ein Leben lang."

Inzwischen versuchen Legionen von Royal-Experten und Historikern, die unverwechselbare Rolle zu beschreiben, die sie für die Briten ausfüllt. Einer von ihnen ist der Historiker Robert Lacey, derzeit der bedeutendste Experte für das englische Königshaus. Was also macht die Queen zur Queen? "Sie hat großen Respekt vor der Monarchie als Institution und weiß, dass ihre eigene Bedeutung nur aus dem Amt entsteht", sagt Lacey dem Abendblatt. "Aber die Queen weiß auch, dass die Institution Monarchie nur mit einer überzeugenden Person funktioniert."

Laut Lacey ist Elizabeth eine "bescheidene und zurückhaltende Frau", die sich nie etwas auf ihr Amt eingebildet hat. "Sie ist beliebter als jemals zuvor. Das hat natürlich auch etwas mit ihrem Alter zu tun", sagt der Historiker. "Dass sie als Monarchin in diesen Zeiten überlebt hat, ist allein schon eine große Leistung."

Sattsam bekannt ist die Genügsamkeit der Königin. "Hier unterscheidet sich die Queen von ihrem Sohn Charles, dessen Prunksucht auch ein Grund für seine Unbeliebtheit ist", sagt Lacey. Bei ihr stehen die Cornflakes in Tupperdosen auf dem Frühstückstisch, abends streift sie durch den Buckingham-Palast und schaltet das Licht aus. Charles dagegen lässt sich von einem Diener die Zahnpasta auf die Zahnbürste drücken.

Wäre die Königin Französin, wäre sie chic. Wäre sie Amerikanerin, würde sie sich zehn Jahre jünger machen. Aber sie ist britisch, und das bis auf die Knochen. Sie mag mild gewürztes Essen - auf dem Kontinent eine Umschreibung für "fade" - und eine blumige Spätlese aus Hochheim am Main. Sie mag Gummistiefel und Kopftücher, Landrover und Rätsel in der "Times".

Die Monarchie und damit die Queen sind in ihrer Bedeutung etwas "Größeres als Politik", sagt Robert Lacey. Premierminister kommen und gehen - von Winston Churchill bis David Cameron hat die Queen mittlerweile zwölf erlebt -, aber sie bleibt. Elizabeth II. ist für die Briten die personifizierte Klammer des alten "Britannia rules the waves" und des modernen Englands, das in seiner jüngeren Geschichte mit so vielen Traditionen gebrochen und das so viele wirtschaftliche Radikalkuren ertragen hat. Die Queen ist für die Briten das Sinnbild für Ausdauer, Durchhaltevermögen, Beständigkeit und Pflichterfüllung, für eine tadellose Arbeitsmoral. Gleichzeitig steht sie für noch etwas sehr Britisches: "Die Königin bietet den Menschen auch eine Plattform für Ironie und Satire, eine Gelegenheit, sich über die Royals lustig zu machen", sagt Lacey.

Unvergessen ist die britische TV-Serie "Spitting Image" (zu Deutsch: wie aus dem Gesicht geschnitten), in der Latex-Puppen bekannte Persönlichkeiten karikieren. Die Queen ist da eine exaltierte Lady mit Lockenwicklern im Haar und Kopftuch, ihr Mann Prinz Philip ein Witzbold in Marineuniform. Aus dem Buckingham-Palast ist bekannt, dass die Windsors sich über die Serie königlich amüsierten.

Die Queen hat ihre Armeen in Korea und auf den Falkland-Inseln, in Bosnien und Nordirland, im Irak und in Afghanistan kämpfen sehen. Sie hat den Zusammenbruch des Kommunismus erlebt und den Wandel vom British Empire zu Großbritannien als Mitglied der EU. Sie durchlitt familiäre Krisen und trauerte um geliebte Verwandte. Um die Königin herum veränderte sich die Welt, aber die Queen blieb die Queen - ein Symbol zeitloser Stabilität.

Nach Meinung von Robert Lacey hat Elizabeth die Zeitläufte "unbewegt und stoisch" verarbeitet. "Sie hat zwar alle diese Veränderungen miterlebt", so Lacey gegenüber dem Abendblatt. "Aber sie hat damit nichts zu tun, denn sie ist abgeschnitten von der Welt, als lebe sie in einem Aquarium." Vordergründig wirkt das so: Die Queen geht nicht einkaufen oder wählen und fährt nicht U-Bahn. Sie liest natürlich Zeitungen und sieht fern. Sie diskutiert in ihrer Familie und einmal pro Woche mit ihrem Premierminister über Politik. Aber davon erfährt das Volk nichts.

Und sie hat nie Bargeld bei sich. Als sie einmal beim Pferderennen gewettet hatte, kam ein Privatsekretär in die Loge und brachte der Königin den Gewinn. Elizabeth betrachtete das Bargeld und fragte verwundert: "And what does one do with this?" (Und was macht man jetzt damit?) Eine Frage, die schon ihre jüngsten Untertanen sofort beantworten könnten.

Aber die Königin und ihre Berater haben ein Händchen für die Vermarktung der Monarchie. Schon 1953 ließ sie die offiziellen Krönungsfeierlichkeiten im Fernsehen live in alle Welt und jede Ecke des British Empires übertragen. Heute gibt der Internet-Auftritt des Königshauses www.royal.gov.uk Einblicke in Leben und Arbeit in den Schlössern und Palästen. Man findet dort beispielsweise eine Anleitung, wie man bei der Queen ein Glückwunsch-Telegramm zum 100. Geburtstag eines britischen Verwandten bestellen kann.

Elizabeth II. ist der Garant für den Bestand der britischen Monarchie. Wenn sie sich so guter Gesundheit erfreut wie ihre Mutter Queen Mum (1900-2002), dann sitzt sie noch ein paar Jährchen auf dem Thron. Eine Geduldsprobe für Kronprinz Charles, der im November 64 wird. "Abdanken kommt für die Queen nicht infrage", da ist sich Robert Lacey sicher. "Und sie zeigt auch keinerlei Ermüdungserscheinungen, der Job hält sie fit."

60 Jahre lang Staatsoberhaupt - das ist fast so, als wäre Theodor Heuss immer noch Bundespräsident (er hätte 2009 Jubiläum gefeiert). Premierminister Harold Macmillan dachte einmal laut darüber nach, ob man sich in Großbritannien vorstellen könnte, statt der Monarchie ein Präsidialsystem zu haben. Und er gelangte zu dem Fazit: "Nein, es macht absolut keinen Sinn, es wäre die endgültige Zerstörung unseres Lebens und des Gefühls für die Vergangenheit unseres Landes."