Ungarns Regierungschef signalisiert im Streit mit EU Verhandlungsbereitschaft. “Die Probleme können leicht und rasch gelöst werden“, sagt Orban.

Brüssel. Ungarns Regierung hat sich im Streit mit der Europäischen Union über Verstöße gegen EU-Recht dem wachsenden Druck aus Brüssel ein Stück weit gebeugt. Ministerpräsident Viktor Orban erklärte sich am Mittwoch im Europäischen Parlament in Straßburg dazu bereit, über die umstrittenen Gesetze zur Zentralbank, zum Datenschutz und Justizwesen mit der EU-Kommission zu verhandeln. "Die Probleme können leicht und rasch gelöst werden", sagte er.

Nachdem die EU-Kommission am Dienstag mehrere Verfahren wegen Verstößen gegen EU-Recht gegen Ungarn eröffnet hat, muss die Regierung in Budapest binnen eines Monats erklären, wie sie die beanstandeten Gesetze in Einklang mit europäischem Recht bringen will. Andernfalls droht ein langwieriger Rechtsstreit - vor allem aber erhält Ungarn nicht die erhofften Milliarden-Kredithilfen von EU und Internationalem Währungsfonds, die das Land vor der Staatspleite retten sollen.

Die EU beklagt, nach Gesetzesänderungen der Orban-Regierung seien die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank, der Datenschutzbehörde sowie von Staatsanwälten und Richtern nicht mehr sichergestellt. Solange die Zentralbank aber nicht frei von politischem Einfluss für Preisstabilität sorgen kann, sind EU und IWF nicht zu einem neuen Hilfsprogramm bereit. Ungarn musste schon 2008 mit Krediten der Gemeinschaft vor der Pleite bewahrt werden.

Seit Antritt der rechtsgerichteten Fidesz-Regierung unter Orban vor knapp zwei Jahren ist das Land immer stärker auf Konfrontationskurs zur EU gegangen. Mit Hunderten Gesetzesänderungen krempelte Orban das Land um. Viele neue Vorschriften zielen dabei darauf ab, die Macht seiner mit Zweidrittelmehrheit regierenden Partei zu stärken. Die EU-Kommission und viele Mitgliedstaaten sorgen sich daher, dass die Grundwerte der EU - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Pressefreiheit - in Ungarn unter die Räder kommen.

Orban zeigte sich angesichts der massiven Kritik der EU, der US-Regierung und auch internationaler Organisationen im Straßburger Parlament kompromissbereit. Seine Regierung habe das Land vor dem Ruin bewahrt, sagte er. Eine grundlegende Erneuerung des hoch verschuldeten Staates "auf Basis europäischer Prinzipien und Werte" sei notwendig. "Ich bitte Sie darum, wir gehen durch eine ernste Transformation, bitte unterstützen Sie das", sagte er. Vor Wochen hatte er die Kritik der EU noch brüsk zurückgewiesen: "Brüssel ist nicht Moskau."

An den Finanzmärkten sorgten Orbans Signale der Verhandlungsbereitschaft für Hoffnung, dass ein Kreditpaket für Ungarn doch nicht in weiter Ferne ist. Die Landeswährung, der Forint legte zu, die Zinsen auf Staatsanleihen gingen deutlich zurück.

Die EU-Kommission hat mit gleich mehreren Vertragsverletzungsverfahren zwar schwere Geschütze aufgefahren. Doch schon im vergangenen Jahr konnte sie auf diesem Wege nur die striktesten neuen Vorschriften der Budapester Regierung für Ungarns Medienbranche abwenden. In der Praxis kann die Regierung die Medien weiter gängeln, erst vor Kurzem entzog sie dem Privatsender KlubRadio die Lizenz. Die EU-Telekommunikationskommissarin Neelie Kroes kritisierte in einem Brief zwar die Orban-Regierung für diese Entscheidung, hat aber bisher kein rechtliches Mittel dagegen gefunden. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, es gehe um mehr als um die bloße Einhaltung von EU-Rechtsvorschriften. Ungarn müsse auch die europäischen Grundwerte in der Praxis einhalten und ein anerkanntes Mitglied der Gemeinschaft bleiben. "Wir wollen keinen Schatten des Zweifels über die Demokratie in irgendeinem unserer Mitgliedstaaten."

Das EU-Parlament ist gegenüber Orban gespalten. Die Christdemokraten halten Treue zur Fidesz, die ihrer Parteienfamilie angehört. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Joseph Daul, lobte die ungarische Verfassungsreform. Er sei sicher, dass auch Orban die europäischen Grundwerte unterstütze, sagte er.

Liberale, Grüne und Sozialdemokraten rufen dagegen nach härterem Vorgehen gegen Ungarn. Sie wollen prüfen lassen, ob die Regierung schwerwiegend gegen den Wertekanon verstößt. Ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags ist das schärfste Schwert, einen abtrünnigen Staat auf Linie zu bringen. Grünen-Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit forderte, das Parlament solle eine Delegation nach Ungarn schicken und vor Ort untersuchen, "warum die Verfassung vielen Bürgern in Ungarn Angst macht".