Am ungarischen Regierungschef prallt jegliche Kritik ab: Im EU-Parlament wischt er die Bedenken über die Entwicklung in seinem Land vom Tisch.

Straßburg. Der in Europa heftig kritisierte ungarische Ministerpräsident fühlt sich schlicht falsch verstanden. Es gebe so viele „Irrtümer und falsche Tatsachen“ über sein Land, die er nicht so schnell korrigieren könne, sagte Viktor Orban am Mittwoch am Ende einer über dreistündigen Debatte im EU-Parlament. Seine Kritiker aus den Reihen der Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten sollten doch erst einmal die ungarische Verfassung lesen: „Der Schutz der Minderheiten in unserer Verfassung könnte vielen europäischen Ländern als Vorbild dienen“, sagte er selbstbewusst. „Kommen Sie nach Ungarn, um das Land und seine Bevölkerung besser kennenzulernen“, forderte er die Parlamentarier auf.

Orban ist seit Monaten heftiger Kritik auf EU-Ebene ausgesetzt - einige seiner Reformen zielten darauf ab, die Verfassung auszuhöhlen, meinen Kritiker. Den Beinahmen „Puszta-Putin“ hat ihm sein Kurs eingebracht. Auch bei seinem Auftritt in Straßburg bekam er den Zorn von Parlamentariern zu spüren, vor allem vonseiten der Grünen: „Dieses ganze Parlament ist vollkommen bekloppt, wenn wir ein Land in der Europäischen Union akzeptieren, das eine stalinistische Verfassung hat“, sagte der Co-Vorsitzende der Grünen, Daniel Cohn-Bendit. Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt, warf Orban vor, auf dem falschen Weg zu sein.

Etwas Unterstützung bekam der Ungar vom CSU-Abgeordneten Bernd Posselt: „In der ungarischen Verfassung ist ein besserer Minderheitenschutz verankert als in so manchen EU-Gründerländern“, sagte er. Empfangen wurde Orban mit ausgesuchter Höflichkeit. Auch der neugewählte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), der zu den schärfsten Kritikern der ungarischen Regierung gehört, begrüßte die Diskussionsbereitschaft Orbans. Das EU-Parlament sei genau der richtige Ort, um über die Entwicklung in Ungarn zu debattieren, sagte er.

Orban signalisiert Entgegenkommen

Beobachtern der Debatte drängte sich allerdings der Eindruck auf, dass die Abgeordneten im EU-Parlament und der ungarische Regierungschef auf zwei verschiedenen Ebenen debattierten. Orban ging es um Ausführungsbestimmungen und Detailansichten einzelner Gesetze. Den Volksvertretern ging es um den Geist der neuen Verfassung, die Ungarn zu einem demokratischen Problemfall in Europa haben werden lassen. Bei den beanstandeten Gesetzen geht es um die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank, der Datenschutzbehörde und der Justiz. Konkret bemängelt wird etwa die Herabsetzung des Rentenalters von Richtern und Staatsanwälten. Dahinter steckt die Sorge, dass neue Richter eingesetzt werden, die der Regierung genehm sind, und dass kritische Juristen ausgeschaltet werden.

Immerhin signalisierte der rechts-konservative Ministerpräsident, dass er auf den jüngsten Frontalangriff der EU-Kommission durchaus eingehen will. Er sei kompromissbereit und werde die Einwände der EU-Kommission gegen seine Reformen berücksichtigen, sagte er vor dem Parlament. Diese Probleme dürften sich leicht regeln lassen. Ungarn steht unter Druck, weil es in seiner Finanzkrise internationales Hilfsgeld braucht. Das dürfte aber nur bei einer Gegenleistung aus Budapest fließen.

Zu den Schnellverfahren, die die EU-Kommission gegen Ungarn eingeleitet hat, bezog Orban nicht konkret Stellung. Er werde in der kommenden Woche mit EU-Kommissionspräsident José-Manuel Barroso zusammentreffen – die Probleme könnten schnell aus der Welt geschafft werden. (dpa/abendblatt.de)