2014 begehen sie den 700. Jahrestag eines Siegs über die Briten. Ein gutes Jahr für ein Referendum zur Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich

London. Man sollte besser auf das achten, was der Nachbar plant. Aber David Cameron, seine Regierung und das Parlament hatten wenig Zeit für die Fahrpläne "north of the border", für das, was in Schottland passierte. London war vollkommen beschäftigt mit den Höhepunkten des Jahres 2012, dem diamantenen Thronjubiläum der Queen, den Olympischen Spielen. Vielleicht sogar mit der Hoffnung auf einen englischen Fußballerfolg bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Jedenfalls starrte die Regierung auf den kommenden Sommer in der Hoffnung auf dringend benötigten Auftrieb angesichts einer ökonomischen Misere, die neben dem Lebensstandard auch die Zuversicht landesweit sinken lässt.

Worauf aber schauen die Schotten unter Anleitung ihres Regierungschefs Alex Salmond? Auf zwei Jahre später, auf 2014. In den Juni fällt die 700-Jahr-Feier der Schlacht von Bannockburn, ein legendärer Sieg über die Engländer, der wie alles aus der Geschichte der Duelle zwischen beiden Nationen im Untergrund der schottischen Psychologie sein (Un-)Wesen treibt. Zwei Monate danach richtet Glasgow die Commonwealth-Spiele aus, ihnen folgt auf dem Fuß der renommierte Ryder Cup im Golf. Auch dann werden sich die Blicke wieder auf Kaledonien richten, wie die Römer das wilde Gelände im Norden der britischen Insel tauften.

Was also wäre einladender, als im Herbst 2014, nach all dem nationalen Überschwang, das lang geplante Referendum zur schottischen Unabhängigkeit abzuhalten? Es würde dem Wunschziel der schottischen Nationalisten, Loslösung vom Vereinigten Königreich, jene Prozentzahl der Zustimmung schenken, die sie jetzt noch nicht haben, wenn sie überhaupt jemals Realität wird. Salmond ist ein politischer Zauberer mit Langzeitgeduld. Er braucht sie auch, bis die schottische Gretchenfrage par excellence gestellt werden kann.

Das alles muss dem britischen Premier plötzlich wie ein Blitz in die Glieder gefahren sein. Da führt sich offenbar jemand in Edinburgh auf, als stünde die Zeitgeschichte in seinem Belieben, als sei Westminster bestenfalls ein Anhängsel schottischer Fahrpläne, ein Nebengleis, auf den sich die Züge gelegentlich verirren. Dem werden wir das Handwerk legen, schworen sich Cameron und seine Berater, und flugs setzten sie vor wenigen Tagen zum Gegenzug an auf dem Schachbrett: Niemand kann unilateral erklären, ob er die britische Union verlässt oder nicht, es waren zwei, die 1707 den Zusammenschluss vereinbarten, und es werden wiederum zwei sein müssen, die über seine Zukunft befinden.

Die Hoheit über die Verfassung der Insel steht zudem allein Westminster zu, dem Parlament von ganz Großbritannien, und nur dieses kann die Schotten zu einem Referendum zur Unabhängigkeit ermächtigen. Nur zu mit eurem Plebiszit, verkündete Cameron im Fernsehen, aber zu Bedingungen der Zentrale in London. Dort haben die Tories, mit den Liberaldemokraten, die Mehrheit. Ergo: Das Referendum muss früher stattfinden, spätestens 2013, warum zögern mit einer Frage, die euch im Norden so sehr am Herzen liegt? Und die Formulierung muss "fair and clear" sein, und das kann nur eine Frage "Entweder-Oder" sein, "Yes or No" - raus aus der Union oder drinbleiben. Seitdem stehen sich der 45 Jahre junge Regierungschef Cameron und sein 57 Jahre alter schottischer Herausforderer Salmond in der britischen Verfassungspolitik wie im Duell gegenüber. Die "Times" hatte Salmond soeben zu Ende 2011 zum "Briten des Jahres" gekürt - ein Jahr, nachdem das gleiche Blatt Cameron zum "Politiker des Jahres 2010" ausgerufen hatte. Das Duell musste einmal kommen, die Zukunft der Union kann man nicht dem Gutdünken in nur einem Teil des Königreichs überlassen.

Alex Salmond, sowohl Chef der Scottish National Party (SNP) als auch ihrer Alleinregierung, erinnert in seiner Physiognomie, seinem zuversichtlichen Grinsen an "Shrek", den Helden der Zeichentrickfilme. Hinzu kommt Mutterwitz. Runzelt er die Stirn, tut er es wie zur Tarnung - sein Optimismus tritt allemal zutage, das hat Salmond von Margaret Thatcher gelernt, deren Regierung er andererseits tief verabscheute wie jetzt auch "das Diktat", wie er es nennt, eines konservativen Premierministers.

"Nur noch einen Tory-Abgeordneten gibt es in Schottland", höhnte unlängst Salmonds Sprecher - "das ist einer weniger als die Zahl der Pandas in Edinburgh." Salmond, von Haus aus Finanz- und Energiefachmann, baut auf das Nordseeöl und Schottlands führende Position bei erneuerbarer Energie in der Beherrschung von Wind und Gezeiten, um sich ein wirtschaftlich unabhängiges Schottland auszurechnen. Als kluger Fuchs ahnt er freilich, dass sein Land vor einem Verlassen der Union letztlich zurückprallen dürfte. Daher behält er sich eine Alternativformulierung für die Referendumsfrage vor: eine Entscheidung über noch größere Unabhängigkeit, vor allem bei Finanzen und Wirtschaft, als es die gegenwärtige Autonomie gewährt.

Kommt gar nicht infrage, tönen in Westminster alle großen Parteien, einschließlich Labour, unisono. Das wäre ja noch schöner - den Schotten mehr Macht zu schenken ohne Verantwortung für das Ganze des Königreichs: ein hübsches Trostpflaster für Salmond, falls er die Komplettlöslösung Schottlands vom übrigen Großbritannien nicht durchbekäme. Was meint er überhaupt mit seinen Vorstellungen? Wollen die Schotten zur Union gehören, aber etwa die Einnahmen des Nordseeöls ganz für sich behalten? Werden Schotten weiter in der britischen Armee dienen, aber Edinburgh das Recht behalten, an bestimmten Kriegsentscheidungen der Westminister-Zentrale nicht teilzunehmen? Und was ist mit der Verteilung der Schuldenlast des britischen Staates? Was mit der Stationierung der Flotte der britischen "Trident" Atom-U-Boote am schottischen Upper Clyde, ungeliebt von einer Bevölkerung, die mit großer Mehrheit anti-nuklear denkt, wie Salmond auch?

Fragen über Fragen, denen der Erste Minister, der Meister kalkulierter Vagheit, bisher aus dem Wege gegangen ist. 2014 ist ja noch weit. So kann er nicht mehr lange taktieren, er weiß, dass auch seine Landsleute genauere Vorstellung brauchen von dem, wonach im Referendum gefragt werden wird. Ferner weiß er, dass Schottland verfassungsrechtlich an der unitarischen Struktur Großbritanniens nicht unilateral vorbeientscheiden kann, will er ein Referendumsresultat vermeiden, das nur etwas empfiehlt, aber nicht bindend ist. Cameron seinerseits muss aufpassen, nicht den Anschein eines "Diktats" aufkommen zu lassen - das wäre kontraproduktiv. Schon hat der schottische Alleinherrscher eingelenkt, er besitze "auch kein Monopol der Weisheit". Aber das Datum 2014, das erklärt er weiterhin für "nicht verhandelbar".