Das ungarische Parlament steht nach der Verfassungsänderung massiv unter Druck. Die EU verwehrt dringend benötigte Finanzhilfen.

Brüssel/Budapest. Im Streit über die Verfassungsänderung in Ungarn setzt die EU die von dem Land dringend benötigte Finanzhilfe als Druckmittel ein. Weder die Vertreter der Europäischen Union noch die des Internationalen Währungsfonds (IWF) wollten derzeit die Verhandlungen über Hilfskredite wieder aufnehmen, erklärte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag in Brüssel. Grund sei die Unsicherheit über die politische Unabhängigkeit der Zentralbank. Das ungarische Parlament hatte vergangene Woche trotz massiver Bedenken der EU auf Basis der geänderten Verfassung das Gesetz zur Zentralbank abgewandelt. Die Investoren reagierten auf die Auseinandersetzung mit einem Ausverkauf ungarischer Staatsanleihen. Gegen den Kurs der Fidesz-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban hatten am Montag mehr als 30.000 Ungarn in Budapest demonstriert.

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso habe gegenüber Orban in den vergangenen Tagen seine Forderung wiederholt, die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht zu beschneiden, erklärte der Sprecher weiter. Auch ein Stabilitätsgesetz mit pauschalen Steuersätzen hatte die EU beanstandet. Die Kommission werde nun prüfen, ob die Gesetze gegen den EU-Vertrag verstießen und womöglich ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

Zehntausende protestieren in Ungarn gegen Verfassung

Die Regierungspartei hatte das Zentralbankgesetz noch geändert, aber nicht allen Bedenken der EU gegen die Besetzung des Zentralbankrates Rechnung getragen. Durch einen neuen Vizepräsidenten könnte die Regierung nach Meinung von Analysten die Geldpolitik beeinflussen. Orban hatte Barrosos Kritik vor Weihnachten mit den Worten „Brüssel ist nicht Moskau„ zurückgewiesen.

Die EU versucht jedoch auch, die erneute Finanznot des Landes als Hebel zu nutzen, um Ungarns Abdriften von europäischen Rechtsstandards zu verhindern. Die Regierung hatte vor einigen Wochen die EU und den IWF erneut um Finanzhilfe gebeten. Die im Dezember begonnenen Verhandlungen darüber hatten die Geldgeber aber wegen des Streits über die Gesetzesänderungen abgebrochen. Das Land muss als Bedingung für Hilfskredite Reformauflagen einhalten. Die Regierung Orban will jedoch keine Einmischung in ihre Wirtschaftspolitik zulassen.

Die Furcht der Anleger vor einem Scheitern der Verhandlungen über Hilfskredite trieb die Zinsen ungarischer Anleihen in die Höhe. Die Renditen fünf- und zehnjähriger Bonds stiegen um jeweils rund einen halben Prozentpunkt auf mehr als zehn Prozent. Die Währung des Landes ging auf Talfahrt. Die Investoren würden verschreckt, weil die Regierung auf Konfrontationskurs zu EU, IWF, Rating-Agenturen und ihrer eigenen Zentralbank gehe, hieß es in einem Kommentar der Danske Bank.

Das EU-Mitgliedsland Ungarn gehört zwar der Währungsunion noch nicht an. Doch nach Artikel 130 des EU-Vertrages müssen alle nationalen Zentralbanken in der EU unabhängig von politischen Weisungen handeln können. Dies gilt als wichtige Voraussetzung dafür, die Geldwertstabilität zu sichern. Das rechtliche Umfeld für die Zentralbank sei wichtig für die Finanzstabilität des Landes, sagte der EU-Sprecher weiter. Nicht nur finanzielle, auch rechtliche Bedingungen zur Stabilisierung der Wirtschaft seien im Gegenzug für Hilfe gefordert.

Die EU verfolgt zudem mit Besorgnis, ob die Pressefreiheit in Ungarn gewahrt bleibt. Zum angedrohten Entzug der Lizenz für einen vom Staat unabhängigen Radiosender habe die Behörde aber noch keine abschließende Meinung, weil dazu noch keine formelle Entscheidung Ungarns vorliege, erklärte der Sprecher von EU-Telekommunikationskommissarin Neelie Kroes. Zuvor hatte schon US-Außenministerin Hillary Clinton in einem Brief an Orban die Wahrung demokratischer Rechte angemahnt.

Orbans Regierung ist seit April 2010 in Ungarn an der Macht. Sie hat den politischen Zugriff des Staates auf die Medien verstärkt, Befugnisse des Verfassungsgerichts beschnitten, Pensionsfonds verstaatlicht und ein Kontrollgremium für den öffentlichen Haushalt aufgelöst.