In Europas Machtdreieck verschieben sich die Kräfte zuungunsten Merkels. Cameron und Sarkozy nähern sich langsam an.

Hamburg. Es sah nicht so aus, als würde es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden. Wenige Wochen vor Wahl und Amtsantritt des neuen Premierministers David Cameron hatte der hochgewachsene Brite eine Bemerkung über "versteckte Zwerge" gemacht. Sie galt einem gerahmten Foto, das ihn und den französischen Präsidenten Nicholas Sarkozy zeigte. Dieser erreicht selbst mit bolzengeradem Rücken nur eine lichte Körperhöhe von 1,65 Meter. Und kurz zuvor hatte der jetzige britische Schatzkanzler George Osborne die Presse belustigt, als er eine Holzkiste, die ein klein gewachsener Redner erklimmen kann, um besser gesehen zu werden, als "Sarkozy-Box" etikettiert hatte. Französische Diplomaten wurden daraufhin in London zu einer offiziellen Beschwerde vorstellig.

Am Freitag nun war der französische Präsident, begleitet von seiner Frau Carla, in London, um gemeinsam mit Cameron an den legendären Widerstandsaufruf von General Charles de Gaulle gegen das Hitler-Regime vor 70 Jahren zu erinnern. De Gaulle hatte sich nach dem Sieg der deutschen Wehrmacht nach London abgesetzt.

Über die BBC rief er seine Landsleute zum Kampf gegen die Besatzer auf; dieser Appell gilt als Gründungsakt der französischen Résistance.

Man trat in London also als alte Alliierte auf, doch bewegend herzlich wirkte der Umgang Camerons mit Sarkozy nicht. Dennoch dürften Sarkozy und Cameron ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen eine stärkere Partnerschaft suchen, um das deutsche Übergewicht in der EU und den Druck seitens Bundeskanzlerin Angela Merkel abzufedern.

Keiner der Führer der drei stärksten europäischen Mächte hegt aber sonderlich warmherzige Gefühle für die anderen beiden. So hatte Sarkozy den berüchtigt europakritischen Briten bereits vor einiger Zeit scharf gewarnt, er werde die "vitale" französische Kooperation auf den Feldern Energie, Verteidigung und Wirtschaft verlieren, sollte er sich weiter weigern, an der Zukunft Europas mitzuarbeiten.

Sarkozy, so schrieb der Londoner "Guardian", sei sehr interessiert an einer engeren britisch-französischen Zusammenarbeit. Die könnte er bei neuen Konflikten mit Merkel instrumentalisieren. Und Cameron, neuer Spieler im europäischen Machtpoker, sucht ebenfalls Unterstützung und betonte: "So, wie unsere beiden großen Länder in der Vergangenheit zusammengestanden haben, so stehen wir jetzt Schulter an Schulter." Vergessen das Urteil des französischen Europaministers Pierre Lellouche über die "erbärmlichen" EU-Pläne der Tories, die "nicht eine Minute" Bestand haben würden.

Bei Camerons Amtsantritt im Mai in Berlin war sehr deutlich geworden, dass auch die britische und die deutsche Regierung ganz unterschiedliche Vorstellungen haben. Der Brite hielt nichts von den schärferen EU-Auflagen für riskante Hedge-Fonds und das deutsche Verbot von Leerverkäufen - London ist immerhin größter Börsenplatz Europas. Zugleich machte Cameron klar, dass ein Abfluss von Kompetenzen Richtung Brüssel mit ihm nicht zu machen sei. Auch werde Großbritannien dem Euro-Raum keinesfalls beitreten. Es war eine kalte Dusche für Merkel.

Dass auch der deutsch-französische Motor seit längerem mit beunruhigenden Aussetzern läuft, ist bekannt. Der berüchtigte Eigensinn des "Hyperpräsidenten" - es sei an seinen unabgesprochenen Plan einer Mittelmeer-Union unter Frankreichs Führung als Gegenstück zum starken Norden EU-Europas erinnert - geht der Kanzlerin ebenso auf die Nerven wie diesem Merkels Hartleibigkeit in Sachen Sparkurs. Die deutsch-französischen Beziehungen seien "hohl", und er werde in Berlin "terrorisiert" klagte er einmal. Sarkozy träumt von einer Wirtschaftsregierung der Eurozone ohne heftige Spar-Einschnitte, will lieber die Binnennachfrage ankurbeln; die Kanzlerin dagegen will Haushaltsdisziplin und Sparen.

Die Krise spitzte sich so zu, dass "Speedy Sarko" sich nun beeilte, beim EU-Gipfel am Donnerstag Eintracht zu demonstrieren - so votierten beide Länder gemeinsam für eine Bankenabgabe. Doch die mühsam erbrachten EU-Kompromisse verdecken nicht die Spannungsrisse zwischen den Führern der drei großen europäischen Nationen.