Für die Schäden der Ölpest ringt der Präsident dem BP-Konzern 20 Milliarden Dollar ab. Doch seine Rede an die Nation hat den Yes-we-can-Optimismus noch nicht wiederbelebt

Es war 20 Uhr Ortszeit, als der amerikanische Präsident in einer Fernsehansprache an die Nation mit angemessenem Ernst zweimal den Krieg erklärte: Den öligen Feinden der USA erklärte er, dass er ihn mit aller Macht führen werde; und den ölversehrten Bürgern erklärte er, mit welchem "Schlachtplan" er die "Belagerung" und den "Angriff auf unsere Küsten" zurückzuschlagen gedenke. Beinahe zwei Monate hatte die Nation darauf gewartet, dass Barack Obama seine Verfassungsrolle des Oberkommandierenden gegenüber dem Aggressor BP nicht nur behaupten, sondern die Verteidigung des Golfs von Mexiko befehlen würde.

Spätestens seit 20.18 Uhr Ostküstenzeit wissen die Amerikaner, dass sie vergeblich warteten. Alle Kriegsmetaphern konnten nicht von Obamas Hilflosigkeit ablenken. Auf BP flucht die Nation, und auf BP baut sie notgedrungen: Der Schurke ist der einzig mögliche Heilsbringer.

Die Ironie dieses Zustandes, der seit dem 20. April das amerikanische Selbstbewusstsein vergiftet, ließ sich allein mit dem Gelübde belegen, das der Präsident gegen den Feind ablegte: "Ich werde den BP-Vorsitzenden informieren, dass er alle Mittel bereitzustellen hat, die für einen Schadenersatz nötig sind." Aber eine unabhängige, dritte Partei werde diesen Fonds kontrollieren, "um sicherzustellen, dass Ansprüche auf faire und zeitnahe Weise befriedigt werden".

Er sei getäuscht worden, gestand der Präsident

Immerhin gelang es Obama 18 Stunden später bei Verhandlungen im Weißen Haus tatsächlich, BP die Zusage eines Hilfsfonds über 20 Milliarden Dollar (16 Milliarden Euro) abzuringen. Dies, so betonte der Präsident, sei keineswegs eine Obergrenze; er werde dafür sorgen, dass der Konzern all seinen Verpflichtungen nachkomme. Leiten soll den Fonds der Rechtsanwalt Kenneth Feinberg, der schon die Entschädigungszahlungen für die Hinterbliebenen des 11. September beaufsichtigte. Doch ist das eine Garantie, dass die Opfer der Ölpest schnell und fair entschädigt werden? Es dauerte mehr als 20 Jahre vor Gerichten, bis die Besitzer der "Exxon Valdez" ein Fünftel des einst festgesetzten Schadenersatzes von 2,5 Milliarden Dollar zahlten.

Manche Kommentatoren beschrieben Obamas Auftreten in seiner ersten Oval-Office-Rede als hölzern und roboterhaft. Doch selbst wer den Kult um diese Thronreden, die Krieg und Krisen betreffen, nicht mitmacht, konnte nicht erkennen, an wen sich Obama eigentlich wandte. Den Geschädigten an der Golfküste - Fischern, Shrimpern, Hotel- und Restaurantbesitzern - gab er nichts als noch mehr Worte. Und dazu das sprichwörtliche Eingeständnis von Ohnmacht: nämlich die Einrichtung einer aus fünf Meeresbiologen und Umweltexperten bestehenden Untersuchungskommission. Er sei getäuscht worden, gestand der Präsident, als er vor drei Monaten das Offshore-Moratorium aufhob und verkündete, diese Bohrtechnik sei nahezu narrensicher. Er irrte: "Ich will wissen, warum." Dabei gilt diese Frage als beantwortet: Weil die Notfallpläne der Ölmultis Wunschdenken und Schutzbehauptungen zu einem Märchen vereinigten, das man bei der US-Aufsichtsbehörde freudig glaubte.

In Wahrheit wird der Glaube Obamas an die Lufthoheit seiner "besten Köpfe" über dem Golf außerhalb des Weißen Hauses von niemandem geteilt. Die Verheißung, der Bund werde in der Krise tun, "was immer nötig ist, solange es nötig ist", klingt mit jedem Tag schaler, an dem das Öl ausströmt. Obamas überzeugendster Kritiker ist keiner der Republikaner, die mit gespielter Empörung die "Politisierung" einer nationalen Krise brandmarken. Es ist das Dauerbild der Unterwasserkamera in 1500 Meter Tiefe. Das sprudelnde Gift gewinnt gegen die flüssigste Sprachkunst.

Es verstrich kaum eine Woche, in der die Schätzungen des ausströmenden Öls nicht nach oben korrigiert wurden (siehe Text unten). Aber was veranlasst Obama, angesichts dieses unsäglichen Wer-bietet-mehr-Skandals zu prophezeien, dass durch BPs Bemühungen "in den kommenden Tagen und Wochen 90 Prozent des ausströmenden Öls" aufgefangen würden? Eine Erwartung, zu der keine Erfahrung berechtigt.

Selbst bei diesem gefährlichen Optimismus beließ es der Präsident nicht. "Man erwartet", sagte er, dass die Entlastungsbohrung im Sommer das Leck endlich abdichten werde. Kein Wort davon, dass die beiden Bohrungen, wenn auch nur das Geringste schiefgeht, das Leck noch vergrößern können. Jeder amerikanische Zeitungsleser weiß dies inzwischen. Der Präsident unterschätzt die Intelligenz seines Publikums, wenn er im Namen einer Rückgewinnung des Yes-we-can-Optimismus die Risiken abermals verschweigt.

Ob vor Ort BP oder die Küstenwache das Sagen hat, weiß keiner

Manchen Beobachtern fällt schon länger auf, dass der Präsident die Handlungen (und Unterlassungen) von Regierung und Weißem Haus nicht als identisch sieht. "Vom Beginn dieser Krise an", versicherte er, "leitete die Bundesregierung die größte Umwelt-Säuberungsaktion in unserer Geschichte." Wenn das wahr ist, hat die Regierung - und vor allem der Präsident - versagt. Nach bald zwei Monaten wissen die Lokalpolitiker an der Küste noch immer nicht, ob BP das Sagen hat oder die Küstenwache. Dringende Bitten um Gerät, Personal oder Genehmigungen, selbst zu handeln, wurden verschleppt. Obama soll nicht eigenhändig das Leck schließen, er muss aber eine transparente Kommandostruktur schaffen.

Inzwischen hat die erste Umfrage das Krisenmanagement des Präsidenten mehrheitlich (52 Prozent) schlecht bewertet. Er kommt einfach nicht aus der Abwehrhaltung heraus. Man rät ihm, er möge Zornesausbrüche zeigen oder die Jugend der USA, in Erinnerung an Präsident Kennedys Peace-Corps-Schöpfung, zum freiwilligen Einsatz an der Ölfront ermuntern. Doch wer will schon aufräumen, was ein Schurke mit den Taschen voller Geld ruiniert? Zudem hat Obama nicht zu Unrecht die Ölpest eher mit einer "Epidemie", die Einsatz über Monate und Jahre verlangt, als mit einem Sturm verglichen. Nach dem Abflauen von Hurrikan "Katrina" vor fünf Jahren fuhren die Fischer, die noch intakte Boote fanden, aufs Meer und machten fette Beute. Niemand weiß, was jetzt die Zersetzungschemikalien und die Ölwolken im Golf für die Nahrungskette bedeuten.

So hinterlässt Obamas Rede, welche die Nation hinter ihm und dem Krieg gegen den Ölaggressor sammeln sollte, Enttäuschung bei seinen Anhängern. Und verstohlene Freude bei der Opposition. Diese war besonders herzlich, als der Präsident die Zuschauer ermuntern wollte, in der Krise den Moment zur Besinnung auf eine grüne Energiepolitik zu erkennen. "Die Tragödie an unserer Küste ist die schmerzlichste und stärkste Mahnung, dass die Zeit für saubere Energien gekommen ist", sagte er. "Jahr um Jahr haben wir immer wieder darüber geredet." Immer sei der Pfad zur Einsicht blockiert worden. Eben, wie damals, 2010.