“Prompt Global Strike“ soll in mehrfacher Schallgeschwindigkeit Ziele überall auf der Welt zerstören können.

Hamburg/New York. Tief im Kleingedruckten des Ende März in Prag vereinbarten Vertrages zur Abrüstung strategischer Atomwaffen ist ein Passus versteckt, der bislang kaum große Beachtung fand. Auf intensives Drängen der Russen sagten die Amerikaner zu, je eine Atomrakete für die Indienststellung einer bestimmten neuen konventionellen Waffe der US-Streitkräfte zu verschrotten. Erst dann konnten US-Präsident Barack Obama und sein Amtskollege Dmitri Medwedew das Dokument unterzeichnen.

Das verwundert zunächst - ist die Waffenwirkung eines konventionellen Sprengkopfes doch viel geringer als die jedes Atomkopfes. Doch die russische Seite hat ein revolutionäres amerikanisches System im Blick, über dessen Anschaffung Obama in nächster Zeit entscheiden muss.

Dieses neue System gilt Moskau als derart gefährlich, dass eine Vereinbarung darüber in der Regierungszeit von George W. Bush nicht möglich war. Die Bush-Administration habe auf die Entwicklung verzichtet, wie US-Verteidigungsminister Robert Gates jetzt der "New York Times" sagte. Die jetzige US-Regierung ist nun jedoch darauf zurückgekommen - nicht zuletzt im Zuge der nuklearen Abrüstungsstrategie, die Obama verfolgt.

Das neue System trägt den vielsagenden Namen "Prompt Global Strike" - sofortiger weltweiter Schlag. Es handelt sich dabei um einen überschweren konventionellen Sprengkopf, der auf eine Langstreckenrakete montiert wird. Sie wird aber - anders als strategische Atomraketen - innerhalb der Atmosphäre ihre Ziele mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit anfliegen. Dazu muss sie, ähnlich wie ein Space Shuttle, mit einer besonderen Beschichtung gegen die Reibungshitze geschützt werden. Der "Prompt Global Strike"-Sprengkopf soll binnen sehr kurzer Zeit riesige Distanzen überwinden und mit großer Genauigkeit etwa eine einzelne Höhle in Pakistan oder Afghanistan treffen können. Da die Rakete die Atmosphäre nicht verlässt, soll sie viel besser steuerbar sein als eine strategische Atomrakete.

Das Problem: Die russische Raketenabwehr kann nicht erkennen, ob die gestartete amerikanische Rakete einen konventionellen oder nuklearen Sprengkopf trägt. Ihr Einsatz könnte daher die Gefahr eines versehentlichen atomaren Schlagabtausches erhöhen. Notwenig ist die Entwicklung eines Systems, das es anderen Staaten ermöglicht, den Unterschied zu erkennen.

Es ist sogar vorgesehen, dass Inspektoren aus Russland, China oder anderen Ländern das "Prompt Global Strike"-Arsenal besichtigen können - das weit entfernt von den Atomraketen stationiert werden soll. Als erster Standort ist die Westküste der USA vorgesehen, vermutlich zunächst der Luftwaffenstützpunkt Vandenberg.

Das Pentagon hofft, wie die "New York Times" berichtete, eine erste Version bis 2014 oder 2015 einsatzbereit zu haben. Das Weiße Haus hat bereits den Kongress um 250 Millionen Dollar gebeten, um das System zur Einsatzreife entwickeln zu können.

Chef des Programms ist Luftwaffengeneral Kevin P. Chilton, Kommandeur des amerikanischen Nuklearwaffenarsenals.

"Gegenwärtig können wir einen konventionellen Schlag irgendwo auf der Welt in einer Zeitspanne zwischen vier und 96 Stunden garantieren", sagte Chilton. Das sei viel zu langsam, wenn zum Beispiel der Geheimdienst die Nachricht liefere, dass al-Qaida den Start einer Rakete vorbereite. Bislang seien nur Atomraketen schnell genug, sagte der General. Der einflussreiche republikanische Senator John McCain sagte in der Nacht zum Freitag bei einer Anhörung des Streitkräfteausschusses, die Anschaffung von "Prompt Global Strike" sei "wichtig und entscheidend - aber auch teuer".