Mullah Abdul Baradar war Militärchef der Radikalislamisten in Afghanistan.

Islamabad/Hamburg. Mit der Festnahme von Mullah Abdul Baradar in Pakistan scheint den Geheimdiensten erstmals nach langer Zeit ein bedeutender Schlag gegen die Taliban geglückt zu sein: Baradar wurde schon vor zehn Tagen bei einer Operation des pakistanischen Geheimdienstes ISI und der CIA in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi gefasst, berichtet die "New York Times". Die Zeitung erfuhr nach eigenen Angaben schon am vergangenen Donnerstag von der Festnahme, sah auf Bitten des Weißen Hauses aber zunächst von einer Veröffentlichung ab. Die US-Regierung habe befürchtet, dass die Nachricht das Aufspüren weiterer Taliban-Führer erschweren könnte, so das Blatt. "Mullah Baradar ist im Moment in unserem Gewahrsam, wir verhören ihn", bestätigte ein ranghoher pakistanischer Offizier gestern. Baradar spreche mit den Verhörexperten.

Er wird von Experten als die Nummer zwei hinter Taliban-Chef Mullah Omar bezeichnet und war vor den Anschlägen am 11. September 2001 ein enger Vertrauter von Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden. In der 2001 gestürzten Taliban-Regierung soll Baradar Vize-Verteidigungsminister gewesen sein. Der pakistanische Sicherheitsexperte Rustam Shah Momand nannte die Festnahme einen schweren Schlag gegen die Taliban: "Baradar war ein sehr erfahrener Kommandeur. Das wird ernste Folgen haben."

Die Taliban hingegen dementierten die Festnahme. "Mullah Baradar ist in Afghanistan", sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid. "Er ist wohlauf und leitet die Operation in Afghanistan." Bei der Großoffensive in der Provinz Helmand leisteten die Aufständischen erfolgreich Widerstand gegen die Truppen der internationalen Schutztruppe Isaf. Meldungen über eine Festnahme Baradars sollten dazu dienen, "unsere Kämpfer zu demoralisieren".

Baradar soll vor allem die militärischen Aktivitäten der Taliban im Süden und Südwesten Afghanistans koordiniert haben. In seinen Verantwortungsbereich fielen die Unruheprovinzen Kandahar, Nimros, Sabul, Urusgan und Helmand. In Helmand starteten Nato-Truppen und afghanische Soldaten am Wochenende die größte Militäroffensive nach dem Sturz der Taliban 2001.

Der US-Militärberater Seth G. Jones von der Rand Corporation sagte gestern der "Washington Post": "Taliban-Chef Mullah Omar ist eher einsiedlerisch und ungeschliffen. Baradar ist derjenige, der sich um die operativen Aufgaben kümmert." Baradar habe viele der Shuras (Konferenzen) der älteren Taliban-Kommandeure abgehalten. Er soll verantwortlich für einen Verhaltenskodex der Taliban sein, wonach diese aus taktischen Gründen auf zu viel Brutalität gegenüber der Zivilbevölkerung verzichten sollten.

Dem pakistanischen Geheimdienst ISI war immer wieder vorgeworfen worden, er schütze afghanische Taliban-Führer. Die Festnahme von Baradar könnte ein Anzeichen für einen neuen Kurs der pakistanischen Regierung sein. Sie hatte die Taliban bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unterstützt und später jahrelang abgestritten, dass die Islamisten von pakistanischem Boden aus operierten.

Es klang auch wie eine Abwiegelung, als Pakistans Innenminister Rehman Malik gestern die US-Berichte über Baradars Festnahme als "Propaganda" bezeichnete. Wenn Pakistan "ein dickes Zielobjekt" festnehme, "werde ich das der Nation mitteilen", sagte er, ohne die Festnahme zu bestätigen oder zu dementieren. Die USA und Pakistan teilten zwar Geheimdienstinformationen, aber gemeinsame Ermittlungen oder Razzien gebe es nicht, behauptete Malik: "Wir sind ein souveräner Staat und werden deshalb niemandem erlauben, hierher zu kommen und einen Einsatz durchzuführen."

In Pakistan wurde spekuliert, Hintergrund der Festnahme könne sein, dass die USA und die Nato sich bereit erklärt hätten, mit gemäßigten Taliban zu verhandeln. Pakistan käme dabei eine Schlüsselrolle zu.