Etwa 2000 zumeist afrikanische Immigranten versammelten sich am Freitag auf dem Marktplatz von Rosarno und sorgten für zahlreiche Verletzte.

Rosarno. Aufstand der Ärmsten: Nachdem sich am Freitagmorgen auf dem Marktplatz des kleinen Ortes Rosarno an der Westküste Kalabriens etwa 2000 zumeist afrikanische Immigranten versammelten, um gegen ihre unmenschlichen Lebensbedingungen zu protestieren, kam es im Laufe des Tages zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Tagelöhnern und der Bevölkerung. 37 Verletzte – 19 Immigranten und 18 Polizisten – ist die vorläufige Bilanz der Ausschreitungen, wie italienische Medien am Abend berichteten. Zwei Tagelöhner wurden von aufgebrachten Einwohnern mit Schlagstöcken lebensgefährlich verletzt und mussten ins Krankenhaus in die Regionalhauptstadt Reggio Calabria gebracht werden.

„Mehr Schutz gegen die ständige rassistische Gewalt – wir sind nur hier, um zu arbeiten“, hatten die aufgebrachten Saisonarbeiter vom Polizeipräfekten des Ortes gefordert. Einige schlugen Schaufenster ein, warfen Steine und kippten Müllcontainer um. Die Bürger antworteten mit Angst und Gewalt. Schulen und Läden blieben geschlossen. Nach Berichten des Fernsehsenders Sky-TG 24 schoss ein Mann von seinem Balkon aus in die Luft, um die Saisonarbeiter zu vertreiben und seine Familie zu verteidigen. Hunderte schlossen sich zu einer Gegendemonstration zusammen. Viele gingen mit Steinen, Gewehren und Schlagstöcken auf die Immigranten los. Medien sprachen am Abend von einer „Jagd auf Schwarze“.

Der Großteil der Tagelöhner kehrte am Nachmittag in ihre Unterkünfte zurück. Rund 100 Bürger von Rosarno postierten sich hingegen bis zum späten Abend auf einer Landstraße zwischen den katastrophalen Unterkünften der Afrikaner und dem Ortskern, um mit Schlagstöcken und Steinen bewaffnet eine „Sicherheitsbarrikade“ aufzubauen. Es herrscht Angst und Wut in Rosarno.

Obwohl es Dutzenden von Polizei- und Carabinieri-Einheiten zunächst gelang, die Situation unter Kontrolle zu halten, sprachen Beobachter von einer weiterhin „extrem angespannten“ Situation. Die Politik reagierte besorgt. Staatspräsident Giorgio Napolitano forderte am Abend dazu auf, „jedwede Gewalt umgehend zu beenden“. „Das, was in Rosarno geschieht, ist das Ergebnis eines Klimas fremdenfeindlicher und mafioser Intoleranz“, kommentierte der Präsident der Region, Agazio Loiero. Innenminister Roberto Maroni der ausländerfeindlichen Regierungspartei „Lega Nord“ verurteilte denVorfall als „Ergebnis einer jahrelangen verfehlten Einwanderungspolitik“.

Das Innenministerium kündigte die Entsendung von zusätzlichen Einsatzkräften der Polizei in den Ort an. Rund 200 der Aufständischen könnten schon am Samstag in ein Auffanglager in Crotone gebracht werden, hieß es.

Auslöser des Aufstands war ein Vorfall vom Donnerstagabend: Wie die Medien berichteten, schossen Unbekannte aus einem Auto auf mehrere Immigranten, die von der Arbeit auf den Orangenfeldern heimkehrten. Dabei wurden mehrere Männer verletzt, unter anderem ein politischer Flüchtling aus Togo. Ein Mann musste ins Krankenhaus gebracht werden. Ein in Tränen aufgelöster 25-jähriger Marokkaner sagte: „Sie haben einfach auf uns geschossen, und niemand hat uns geholfen“. Die Schüsse brachten das Fass zum Überlaufen.

Zwischen 120 und 150 Einwanderer blockierten noch am späten Donnerstagabend die Landstraße in die weiter südlich gelegene Stadt Gioia Tauro. Ein Teil zog nach Polizeiangaben randalierend ins Ortszentrum von Rosarno. Autos wurden in Brand gesetzt, Schaufenster eingeschlagen und ausgeräumt. Erst nach mehreren Stunden gelang es der Polizei, die Revolte unter Kontrolle zu bringen.

Im 16 000 Einwohner zählenden Rosarno leben durchschnittlich 5000 Immigranten – zum Großteil aus Afrika. Ihre Zahl schwankt je nach Erntezeit, denn als mittellose Wanderarbeiter ziehen sie je nach Saison von Arbeit zu Arbeit. Im August ernten sie Tomaten in Apulien, während zu Winterbeginn Orangen und Mandarinen in Kalabrien und Sizilien an der Reihe sind. Sie wohnen unter unvorstellbaren Bedingungen in ehemaligen Fabriken oder einfachen Baracken, ohne Matratzen, Licht und Heizung, oftmals mit nicht mehr als einer chemischen Toilette für 200 Menschen.

„Es ist auch für mich, der in Darfur gearbeitet hat, erschütternd zu sehen, wie diese Menschen leben“, beschrieb es im Dezember 2008 ein Arzt der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“. Doch als Illegale akzeptieren die meisten, was immer sie kriegen - auch Hungerlöhne.

Der durchschnittliche Verdienst liegt bei 20 Euro pro Tag, manchmal ist es auch weniger. Und in der Regel behalte die örtliche Mafia noch 5 Euro „Aufenthaltssteuer“ ein, hieß es. So gehen die Behörden davon aus, dass es sich bei den Angreifern vom Donnerstagabend um Mitglieder der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta handelte. Wahrscheinlich wollten sie Tagelöhner bestrafen, die kein Schutzgeld bezahlt hatten.