Premier bezeichnet alle Vorwürfe gegen sich als Lügen und wirft auch dem Staatspräsidenten Parteilichkeit vor.

Rom. Noch ist die Ära Silvio Berlusconis nicht vorüber. Und auch nach der Aufhebung der Immunität des Premiers durch das italienische Verfassungsgericht ist nicht entschieden, ob es dem Entfesselungskünstler nicht noch ein weiteres Mal gelingen könnte, innerhalb des nächsten Jahres ein neues, drittes und diesmal wirklich "wasserdichtes" Immunitätsgesetz von den beiden Kammern des Parlaments verabschieden zu lassen.

Denn es ist jetzt ja auch schon das zweite Mal, dass die Richter dieses Gerichts ein von Silvio Berlusconi auf die Schienen gebrachtes Gesetz zu Fall brachten, das ihm wie dem Staatspräsidenten, dem Kammerpräsidenten und dem Senatspräsidenten für die Dauer ihrer Regierung Immunität vor jeder Strafverfolgung sichern sollte. Das war 2004. Doch im vergangenen Jahr ließ der gerade wiedergewählte Premier das leicht modifizierte Gesetz vom Mitte-rechts-Lager im Parlament durchwinken.

Neu ist der Streit also nicht, den die Verfassungsrichter dem Premier aufgezwungen haben. Als sicher darf jetzt also nur angenommen werden, dass Berlusconi im kommenden Jahr einen großen Teil seiner Zeit wieder mehr seinen privaten Sorgen als den Regierungsgeschäften widmen muss.

Unbestritten ist, dass Silvio Berlusconi Nehmerqualitäten hat, wie es im Boxsport heißt. Schon bei seinen ersten Kommentaren zu der Gerichtsentscheidung schien er wieder in seinem Element, zumal ihm in jüngster Vergangenheit eine öffentlich ausgetragene Schlammschlacht um sein Liebesleben die Lebenslust mehr und mehr zu vergällen schien.

Jetzt attackierte der "Cavaliere" die "kleine, sehr gut organisierte Minderheit roter Richter", die Italiens Justiz politisch missbrauche. Der Konflikt werde ihn ein paar Tage vom Regieren abhalten, um all seine Ankläger "als Lügner zu entlarven". Weiter sagte Berlusconi: "Solche Dinge stärken mich. Sie stärken Italiener. Lang lebe Italien, lang lebe Berlusconi!"

Dann stieg der alte Champion noch einmal zurück in den Ring und teilte gleich in alle Richtungen aus - nicht nur an die "roten Roben", die die Gerichte beherrschten, sondern auch wieder an die linken Medien und sogar an Giorgio Napolitano, den Präsidenten der Republik. Napolitano hatte zuvor erklärt, dass er die Entscheidung der Richter akzeptiere. Jeder wisse, auf welcher Seite der Präsident stehe, sagte Berlusconi. "Ja", hieß es danach in einer scharfen Reaktion des Präsidialamts. "Jeder weiß wirklich, auf welcher Seite der Präsident steht: auf der Seite der Verfassung."

Doch trotz weniger lauwarmer Rufe aus der Opposition nach einem Rücktritt des Premiers ist derzeit politisch keine Alternative zum System Berlusconi in Sicht. Umberto Bossi, der schillernde Koalitionspartner des Premiers aus dem Norden, erklärte nach seinem Besuch bei ihm: "Ich habe ihn stark vorgefunden. Das hat mich gefreut. Er ist zum Kampf entschlossen." Auch Gianfranco Fini, der zweite Koalitionspartner des Premiers, erklärte seine Solidarität sogleich unmissverständlich: "Ich stehe mit Bossi an deiner Seite." Eventuelle Neuwahlen also, davon können die Gegner Silvio Berlusconis ebenso ausgehen wie seine Verbündeten, würden das Mitte-rechts-Lager vielleicht noch überwältigender an der Macht bestätigen. Das Urteil der Richter als politisch zu bezeichnen, wie Paolo Bonaiuti, der Sprecher des Premiers, es vorschnell tat, scheint also unsinnig. Es nutzt politisch keinem.

Möglich scheint daher eher, dass den Ausschlag zum Urteil der Richter einem Satz geschuldet ist, der aus dem Mund Berlusconis selber stammt. "Es ist korrekt", hatte er bei einem seiner Prozesse 2003 zu Protokoll gegeben, "dass alle vor dem Gesetz gleich sind. Doch ich bin gleicher, weil die Mehrheit des Volkes mich gewählt hat." Das Zitat aus George Orwells "Animal Farm" (Aufstand der Tiere) war eine Steilvorlage für die traditionell höchst Berlusconi-kritische Presse in Großbritannien.

Italienische Medien wie "La Repubblica", das publizistische Flaggschiff von Italiens kopfloser Opposition, nahmen den Ball umgehend auf. Kein anderer Satz wurde öfter in Italien zitiert. Da wird ihn auch die Mehrzahl der 15 Richter gelesen haben. Dabei unterschied sich das Immunitätsgesetz Berlusconis von ähnlichen Immunitätsregelungen in anderen Staaten nicht wesentlich, sondern nur durch das Detail einer "carte blanche" für fünf Jahre, in denen alle Prozesse gegen ihn ruhen sollten.