Ex-Präsident Rafsandschani attackiert beim Freitagsgebet die Führung. Er fordert Pressefreiheit.

Teheran. Vor vier Wochen war alles anders: Die 30-jährige Farzaneh hatte ihren geblümten Gebets-Tschador in die Tasche gepackt. Doch kurz bevor sie zum Freitagsgebet unter Leitung des geistlichen Führers Ayatollah Ali Chamenei gehen wollte, hörte sie, Mir Hussein Mussawi habe seine Anhänger aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Also blieb sie zu Hause. Und empörte sich über die Predigt Chameneis, der dazu aufrief, Demonstrationen der Anhänger des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mussawi niederzuschlagen.

Heute - nach den brutal gestoppten Protesten mit bis zu 300 Toten, Hunderten Verletzten und mehr als 100 Festnahmen - folgt Farzaneh erneut dem Aufruf Mussawis. Sie und ihre Freundinnen hatten dem 67-Jährigen bei den Wahlen am 12. Juni ihre Stimme gegeben - und fühlen sich durch das wohl massiv manipulierte Ergebnis um ihre Stimme betrogen. Mit drei Freundinnen geht sie heute zum Freitagsgebet unter Leitung von Ayatollah Ali Akbar Hashemi Rafsandschani. Auch Mussawi, der ebenfalls unterlegene Präsidentschaftskandidat Mehdi Karoubi und Ex-Staatspräsident Mohammad Chatami sind erstmals seit den Wahlen anwesend.

Die Menschenmassen und das 38 Grad heiße Wetter sind erdrückend.

Farzaneh kommt nicht einmal in die Nähe der Universität, wo Sicherheitskräfte massiv Tränengas gegen Hunderttausende Demonstranten einsetzen. Über Lautsprecher folgen die Freundinnen den Worten von Ex-Präsident Rafsandschani, dem erklärten Gegner von Staatschef Mahmud Ahmadinedschad.

Farzaneh, die das grüne Stirnband als Zeichen der Opposition trägt, ist erstaunt über Rafsandschanis Worte. "Wir alle haben verloren, es gibt keine Gewinner", sagt er in Anspielung auf die Wahlen. Er kritisiert offen den Wächterrat, der "nicht gut reagiert" habe. "Eine Regierung, die nicht vom Volk unterstützt wird", sei keine Regierung. Und er fügt hinzu, dass die Islamische Republik sowohl den Willen Gottes als auch den des Volkes umsetzen müsse. Er fordert Pressefreiheit, die Freilassung aller Gefangenen und "Mitleid mit den Getöteten". Er betont, friedliche Demonstranten dürfe man nicht "Randalierer" nennen.

Er zitiert den Propheten Mohammad - etwa damit, dass man sogar seine Feinde gut behandeln müsse. Und dann fordert Rafsandschani die Menschen auf, zusammenzuhalten - nicht ohne hinzuzufügen: "Wir müssen die Stimmen der Kinder der Revolution hören."

Die Oppositionsanhänger jubeln - und skandieren "Tod dem Diktator" und "Nieder mit Ahmadinedschad". Mussawi hält zwar keine Rede - dennoch hat er ein Signal gesetzt, dass er nicht aufgibt. Mit seiner Frau Sara Rahnaward hat er die Familie des 19-jährigen Sohrab Arabi bei einer Trauerfeier in ihrem Haus in West-Teheran besucht. Arabi ist - nach der getöteten Studentin Neda - zur Ikone der Bewegung geworden. Der Halbwaise, der sein Abitur gemacht hat und studieren wollte, hatte am 15. Juni an den Protesten teilgenommen und war dann verschwunden. Nach 26 Tagen wurde seine Leiche der Mutter Parvin Fahimi übergeben - wortlos. Fest steht nur, dass er durch einen Schuss ins Herz getötet wurde. Unklar bleibt, ob dies bei der Demonstration geschah und er im Krankenhaus starb oder ob er im berüchtigten Evin-Gefängnis gefoltert wurde. Fahimi macht jetzt der Protestbewegung neuen Mut. Zu Mussawi sagte sie: "Ich bin glücklich, dass mein Sohn nicht umsonst gestorben ist, er wird wie ein Baum sein, der Früchte trägt."