Angebliche Zugeständnisse an die Opposition. Doch der Aufstand wäre gegen die geistliche Mehrheit unmöglich.

Hamburg/Teheran. Es war ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte der Islamischen Republik: Der mächtige Wächterrat hat Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen zur Präsidentschaftswahl zugegeben. Eine ungewohnte Klarheit, aus der jedoch ebenso schnell ein Verwirrspiel wurde. Stufenweise riefen Sprecher des Wächterrats das Eingeständnis zurück. Es handele sich lediglich um drei Millionen falsch gezählte Stimmen, zu wenig, um den Sieg von Mahmud Ahmadinedschad zu gefährden. Später folgte gar ein Dementi: Es war eine "Falschinformation westlicher Medien", hieß es plötzlich.

Wie ist das zu erklären? Offenbar herrscht Uneinigkeit im Wächterrat, dessen Aufgabe es ausdrücklich nicht ist, inneren Dissens in die Öffentlichkeit zu tragen. "Durch die Machtzentren in Teheran geht ein Riss", sagte der iranisch-stämmige Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour gestern der Deutschen Presseagentur. Die Verwirrung um die Haltung des Wächterrats sei ein Beispiel dafür. "Die Meldung, dass dieses Kontrollorgan selbst von Unregelmäßigkeit spreche, blieb Stunden unkommentiert auf dem Markt. Dann wurde sie geändert. Das spricht für große Unsicherheit und dafür, dass Revolutionsführer Chamenei Klärungsbedarf hatte."

Der Wächterrat, sechs Theologen und sechs Rechtsgelehrte, werden zur Hälfte vom obersten Führer des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, ernannt. Das Gremium gilt als institutionelle Bastion der Konservativen. Vielleicht wurden zunächst Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen eingestanden, um Zeit zu gewinnen. Denn Überhaupt verdichten sich die Anzeichen, dass unter den iranischen Mullahs ein Machtkampf entbrannt ist. "Der Aufstand im Land wäre gegen den großen Teil der Geistlichkeit nicht möglich", sagt Nouripour. Die arabische Zeitung "Al-Sharq Al-Awsat" berichtete unter Berufung auf "hochrangige" Informanten im Iran, der frühere Präsident Ali Akbar Rafsandschani führe seit Tagen in aller Stille intensive Gespräche mit geistlichen Führern in Qom, dem religiösen Zentrum des Landes. Er wolle sie dafür gewinnen, die Macht Chameneis zu beschneiden.

Rafsandschani leitet seit 2006 den "Expertenrat", das einzige Gremium der islamischen Republik, das befugt ist, den obersten Führer in die Schranken zu weisen. Das Lager um Präsident Ahmadinedschad war im Wahlkampf auf Konfrontation zu Rafsandschani gegangen. Ahmadinedschad warf ihm vor, er habe sich schamlos bereichert. Am Sonntag war Rafsandschanis Tochter verhaftet worden, die im Wahlkampf Mussawi unterstützt hatte - gestern wurde sie wieder freigelassen. Beobachter werten dies als Warnschuss gegen Rafsandschani. Offenbar will man der Opposition aber auch Zugeständnisse machen - was zum verwirrenden Gesamtbild der Situation beiträgt: Gestern wurde bekannt, dass Verbrecher künftig im Iran nicht mehr gesteinigt werden und Dieben nicht mehr die Hand abgehackt werden solle. Die Strafen sollten aus dem islamischen Strafgesetzbuch gestrichen werden, kündigte der Vorsitzende des Justizausschusses an. Das Parlament muss der Gesetzesänderung noch formell zustimmen - und der Wächterrat muss sie absegnen.