Nur ein islamisches Land hat Staat und Religion getrennt - die Türkei. Es ist Voraussetzung für eine Demokratie.

Hamburg. Mancher, erfüllt vom Feuer des Optimismus, vergleicht die dramatischen Vorgänge im Iran bereits mit den samtenen Revolutionen in Osteuropa, die den welken Kommunismus auf die Sondermülldeponie der Geschichte fegten. Die Massenproteste im Iran mögen derzeit auch mal an einem Montag stattfinden - "Montagsdemonstrationen" im Sinne der friedvollen DDR-Revolution sind es dennoch nicht.

Den Ostdeutschen ging es um Freiheit, nicht zuletzt im Denken und Reisen, im Kern aber um eine pluralistische Demokratie. Natürlich wollen auch die Demonstranten in Teheran oder Isfahan mehr Freiheit und weniger Gängelung, doch es sind Zweifel angebracht, ob die meisten von ihnen ein westliches Demokratiemodell vor Augen haben.

Der Iran ist seit dem Sturz des Schahs 1979 eine Islamische Republik. Es ist eine Theokratie, eine von Menschen exekutierte Gottesherrschaft, ein totalitäres System mit ein paar demokratischen Feigenblättern. Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi mutiert zum Medienstar, eignet sich aber denkbar schlecht als Hoffnungsträger westlicher Pluralisten: Der frühere Regierungschef ist ein Mann des Systems, der nur nicht gern bei Wahlen übers Ohr gehauen wird.

Doch wie weit sind Islam und westliche Demokratie überhaupt vereinbar? Zugespitzt formuliert gibt es nur ein einziges Land der islamischen Welt, das den Spagat zwischen dem muslimischen Glaubenskanon und pluralistischen Vorstellungen einigermaßen schafft - die Türkei. Mit autoritärer Dynamik schaffte Mustafa Kemal, genannt "Atatürk", Vater der Türken, Kalifat und Sultanat ab und trennte den Glauben vom Staat. Seitdem ist die Türkei offiziell ein laizistisches Land.

Und genau hier liegt der Kern des Problems. Der Islam, wie er von Mauretanien bis Indonesien von den Eliten instrumentalisiert wird, ist nicht nur eine Religion - er ist ein in sich geschlossenes rechtlich-politisches Wertesystem. Eine Trennung von Staat und Religion ist überhaupt nicht vorgesehen. Der Islam greift mit seinen Forderungen umfassend in das Leben jedes Bürgers ein. Dies hat viel zu tun mit der Rolle des heiligen Buchs der Muslime - des Korans. Er gilt als das direkte Wort Gottes, übermittelt durch seinen Propheten Mohammed. Daher kann er nicht verändert werden und steht - wie auch die überlieferten Worte und Handlungen Mohammeds, die Sunna, als zweite Erkenntnisquelle - nicht zur Disposition.

Niemals ist die islamische Welt jener dramatischen geistigen Umwälzung unterworfen gewesen, die die christliche Welt grundlegend verändert hat: der Aufklärung. Niemals hat der Islam der unerhörten Forderung nachgeben müssen, sich von überkommenen Dogmen zu trennen und es jedem Menschen freizustellen, nur der eigenen kritischen Vernunft das Urteil zu überlassen - selbst in religiösen Fragen. Das islamische Rechtssystem, die Scharia, wird von vielen Muslimen als universal gültig angesehen. Und soll möglichst weltweit durchgesetzt werden - notfalls mit Gewalt. Im Gegensatz zum Christentum, das in der Geschichte auch reichlich fehlte, muss der Islam sein Verhältnis zur Gewalt erst noch klären. Zu zahlreich sind entsprechende Aufrufe im Koran - wie in Sure 2, Vers 191 ("und erschlagt sie (die Ungläubigen), wo immer ihr auf sie stoßt ...") Die Unterscheidung zwischen dem prinzipiell friedlichen Islam und dem militanten Islamismus ist manchmal allzu wohlwollend. Man denke nur an die in der Scharia verankerte Todesstrafe für Konvertiten.

Der Koran wurde erst nach dem Tode Mohammeds im Jahre 632 aufgeschrieben; er ist das Spiegelbild eines auch blutigen weltlichen Kampfes. Im Gegensatz zum Propheten des Neuen Testaments, dem Nazarener Jesus, war der Mekkaner Mohammed zugleich Feldherr, der Angriffskriege führte und sogar Massenhinrichtungen anordnete. Doch damals stellten derartige Repressionen keine ungewöhnliche Grausamkeit dar; Mohammed war sogar vergleichsweise milde gegenüber Feinden. Anders als die Kreuzritter: Sie metzelten 1099 bei der Eroberung von Jerusalem 30 000 Menschen nieder - Juden, Muslime und Christen.

Die westliche Welt hat der religiösen Gewalt inzwischen abgeschworen und die Demokratie mit Pluralismus und Gewaltenteilung in jahrhundertelangem Kampf erstritten. Die islamische Welt hat diesen Befreiungsakt noch vor sich. Demokratie und Islam sind jedoch nur dann vereinbar, wenn mindestens ein zentrales Element des muslimischen Glaubenskanons aufgegeben wird: die Zwangseinheit aus Religion und Staat. Noch scheinen die herrschenden Eliten - wie jene in Teheran - aber nicht reif für diesen gewaltigen Schritt zu sein.