Blacksburg. "Einzelgänger, Sonderling": Die Antworten lauten immer gleich, wenn man Studenten an der Virginia Tech nach ihrem Kommilitonen Cho Seung Hui fragt.

Wie sonderbar sich der Täter gegenüber seiner Umwelt benahm, spürten John und Andy, zwei Studenten, die mit Cho eines der Uni-Apartments teilten. John: "Obwohl wir eine Wohnung teilten, kommunizierte er fast nur via E-Mails oder über SMS mit mir." Falls Cho überhaupt gesprochen habe, dann "meist nur in denkbar kurzen Sätzen, die er mit gesenktem Kopf in den Boden murmelte".

Versuche der beiden Studenten, ihren wunderlichen Kommilitonen in die Gemeinschaft einzubinden, schlugen fehl. Andy: "Wir nahmen ihn mehrmals zum Essen zu unseren Freunden mit. Aber er aß nur ohne aufzublicken und sprach fast nie." Nur einmal, als der Koreaner leicht angetrunken war, verriet er seinen Mitbewohnern, dass er "eine imaginäre Freundin namens Jelly habe, die ein Supermodel" sei. In der Realität hatte Cho anscheinend gravierende Probleme mit Frauen. Er wurde mehrmals beobachtet, als er Studentinnen heimlich fotografierte. Im Herbst 2006 folgte Cho der 22-jährigen Christina Lilick und fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Als sie ablehnte, erzählte er ihr persönliche Dinge, die er im Internet über sie ausspioniert hatte. Später bombardierte er Lilick mit E-Mails und SMS. Ende vergangenen Jahres verfolgte er Holly Huse (22) bis in ihr Zimmer, starrte ihr in die Augen, fotografierte sie und erklärte, sein Name sei "Question mark" (Fragezeichen). Sie informierte die Uni-Polizei, erstattete jedoch keine Anzeige. Cho erzählte seinen Mitbewohnern später: "Ich wollte diesem Mädchen in die Augen schauen, um zu sehen, ob sie cool ist, aber ich habe nur Promiskuität gesehen."

Cho war dafür bekannt, dass er immer, auch in Gebäuden, Sonnenbrille und Mütze trug, er hatte aber Angst vor Dunkelheit und schlief nur bei Licht.

Auch Chos Englischprofessorin Lucinda Roy, deren Drehbuchklasse er besuchte, erkannte schnell, dass der junge Mann "ernsthafte psychische Probleme" hatte. Er habe sich geweigert, aktiv am Unterricht teilzunehmen, und nie gesprochen. Seine abgelieferten Arbeiten machten Roy große Sorge: "Alles war so hasserfüllt. Was er schrieb, handelte nur von Mord, Vergewaltigung, Inzest und Kindesmissbrauch und strotzte vor Obszönitäten." Roy meldete Cho bei der Uni-Verwaltung und der Polizei und riet dringend zu einer psychologischen Behandlung. Heute sagt Lucinda Roy: "Ich habe in meiner 20-jährigen Karriere als Lehrerin nie einen Studenten gehabt, der mir solche Angst einjagte." Nikki Giovanni, Literaturprofessorin, Poetin und Bürgerrechtsaktivistin, hatte Cho einmal in einer Klasse. "Er schrieb Sachen, die alle in der Klasse verängstigten. Die halbe Klasse kam plötzlich nicht mehr."

Ian MacFarlane, der bis Dezember mit Cho die Klasse von Lucinda Roy besuchte, hat zwei der Stücke des Koreaners ins Internet gestellt (newsbloggers.aol.com/2007/04/17/cho-seung-huis-plays/). In einem der Stücke mit dem Titel "Richard McBeef" beschreibt Cho den Streit eines 13-Jährigen mit seinem Stiefvater, den er beschuldigt, ein Kinderschänder zu sein. Dabei überschüttet der Junge den Mann, der sich nichts zuschulden hat kommen lassen, mit Obszönitäten und lässt seine Mutter mit der Kettensäge auf den Stiefvater losgehen. Letztlich bringt der Mann den Jungen um.

Die Polizei hatte nach eigenen Angaben insgesamt dreimal mit Cho Kontakt: als sie ihn nach Stalking-Beschwerden befragte und einmal auch für 48 Stunden in eine psychiatrische Klinik einlieferte. Uni-Polizeichef Wendell Flinchum: "Wir hatten keine rechtliche Handhabe, ihn länger festzuhalten oder in die Psychiatrie zu schicken, da er keine Drohungen gegen eine bestimmte Person erhoben hatte oder handgreiflich geworden war."

Angesichts all der Signale fragen sich viele Studenten, Eltern und Professoren, ob das Massaker nicht hätte verhindert werden können. "Ich grüble", sagt Mitbewohner John, "ob ich nicht doch mehr hätte tun können."