CIA-Dokumente: Seit 1952 war der deutschen Regierung der Aufenthaltsort des Naziverbrechers bekannt. Erst 1958 informierte der BND die USA - und bat, ihn nicht festzunehmen. Wollte der Kanzler seinen Vertrauten Hans Globke schützen?

Washington. Presseveranstaltungen im Nationalarchiv der Vereinigten Staaten in Washington finden normalerweise in der prächtigen Rotunde statt, wo weißer Marmor, Blattgold und "Stars and Stripes" eine patriotische Aura schaffen, daß man seine Stimme unweigerlich zurücknimmt. Hier sind, streng bewacht, die Kronjuwelen der amerikanischen Demokratie, die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die Verfassung der USA und die "Bill of Rights" zu sehen. Doch an diesem Dienstag morgen hat man die Medienvertreter in den unspektakulären Raum 105 im Erdgeschoß geladen, um einen bisher unbekannten Teil der amerikanischen Geschichte öffentlich zu machen, der fast fünf Jahrzehnte in den Kellergewölben schlummerte, wo insgesamt neun Milliarden Dokumente US-Geschichte erzählen.

Daß man nicht in die Rotunde, sondern in den kahlen, dreckig-weißen Raum 105 einlud, hat vermutlich damit zu tun, daß die angekündigte Veröffentlichung von "ehemals geheimem CIA-Operationsmaterial bezüglich Nazi-Kriegsverbrechern" nicht gerade ein Ruhmesblatt für den bekanntesten amerikanischen Geheimdienst und damit die US-Regierung ist.

Als Allen Weinstein, der Direktor des Archivs, die wichtigsten Punkte der insgesamt nun freigegebenen 27 000 Seiten CIA-Materials zusammenfaßt, herrscht Stille im Raum. Am liebsten würde man die grelle Sonne, die von draußen hereindringt, ausschließen, so bedrückend sind die Enthüllungen. Weinstein erzählt, daß die CIA seit März 1958 wußte, wo sich Adolf Eichmann aufhielt. Jener SS-Scherge, der quasi der "Manager der Judenvernichtung" war, der die "Endlösung" organisierte und bis zuletzt aktiv mitarbeitete, sechs Millionen Juden im Holocaust zu vernichten. Schockierender, besonders für Deutschland, ist die Tatsache, daß der US-Geheimdienst diese Erkenntnisse nicht von irgendeinem seiner Spione hatte, sondern von keinem Geringeren als dem ersten Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer. Damit jedoch nicht genug. Deutschland wußte seit 1952, daß sich Eichmann nach Argentinien abgesetzt hatte und dort angeblich unter dem Decknamen "Klement" lebte.

Wer erwartet hatte, daß sich die USA damals sofort an die Fersen des gesuchten NS-Kriegsverbrechers hängten, der irrt. Mit der Nachricht Adenauers beziehungsweise des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) über den Verbleib Adolf Eichmanns war zugleich die "dringende Bitte" verbunden, ihn "nicht festzunehmen, da das den innenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland schaden könnte". Hinter dieser verklausulierten Formulierung versteckte sich die Tatsache, daß der ehemalige SS-Obersturmbannführer belastendes Material über Adenauers umstrittenen Staatssekretär Hans Globke ans Tageslicht bringen könnte, wenn man ihn festnahm. Globke hatte im Dritten Reich einen Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen verfaßt und teilweise sehr eng mit Eichmann zusammengearbeitet. Die US-Regierung kam dem Wunsch nach. Auch aus Eigeninteresse, da Globke auch mit der CIA zusammenarbeitete und, wie es in den Papieren heißt, "ein wichtiger Mann in Zeiten des Kalten Krieges" war.

Für den amerikanischen Historiker Timothy Naftali von der University of Virginia, kommen diese Enthüllungen nicht überraschend. Der Mann, der als Experte in Sachen Kalter Krieg gilt: "Es war nicht US-Politik, Nazi-Kriegsverbrecher zu jagen, nachdem der Kalte Krieg begonnen hatte, vielmehr nutzte die CIA viele ehemalige, nicht entnazifizierte SS-Leute, um sie gegen Moskau einzusetzen."

Eine Praxis, die schon früher bekannt war, die der Historiker und Archivar Robert Wolfe an diesem Tag jedoch als "weitgehend erfolglos" bezeichnet. Der Deutschland-Experte: "Nazi-Kriegsverbrecher gingen damals mit Klatsch und Tratsch hausieren und erzählten amerikanischen Ermittlern gerne das, was sie hören wollten, in der Hoffnung, dadurch ihrer gerechten Strafe zu entgehen."

So zeigen die jetzt veröffentlichten Dokumente auch, daß die CIA zwischen 1949 und 1955 "verschiedene Netzwerke deutscher Agenten" organisierte, die in die Sowjetunion eingeschleust wurden, um von dort Informationen zu liefern, "falls die Sowjetunion Westdeutschland angreifen sollte". Eine Aktion die den USA letztendlich sehr schadete. So wurde beispielsweise der ehemalige SS-Obersturmführer Heinz Felfe nach dem Krieg zum Chef der Gegenspionage der BND-Vorgänger-Organisation Gehlen berufen. Wie sich später herausstellte, arbeitete Felfe mindestens so aktiv für den Sowjet-Geheimdienst KGB und verriet den Russen die Identität von über 100 CIA-Agenten.

An diesem Tag werden im Raum 105 noch die Namen einiger weiterer NS-Größen genannt, die die Amerikaner damals wissentlich nicht verfolgten und vor Gericht brachten. Doch sie werden von den wenigen Anwesenden kaum noch wahrgenommen. Adolf Eichmann und Konrad Adenauer sind die Namen, die sich festsetzen. Diese Verbindung gab es bisher nie.

Noch steht die Reaktion Israels aus. Wie müssen sich die Menschen dort fühlen, wenn sie von den Enthüllungen hier im Nationalarchiv in Washington hören? Israel suchte jahrelang nach Eichmann, um ihn vor Gericht zu bringen. Im Frühjahr 1958, wohl zur gleichen Zeit, als Adenauer die Amerikaner über den Verbleib des Juden-Schlächters informierte, gab der israelische Geheimdienst Mossad die Suche kurzfristig auf, weil er nicht weiterkam. Weder die USA noch Deutschland sagten etwas. "Nazijäger" Simon Wiesenthal, der sein Leben der Gerechtigkeit widmete und rund 1100 Nazi-Größen zur Verurteilung brachte, verbrachte mit der Jagd auf Eichmann mehrere Jahre seines Lebens. Als der Mossad den "Manager der Judenvernichtung", der sich unter dem Decknamen Ricardo Klement in Argentinien versteckte, auch ohne CIA- oder BND-Hilfe im Mai 1960 aufspürte und in einer geheimen Mission nach Israel brachte, war das Adenauer gar nicht recht. Die Familie Eichmanns hatte kurz vorher die Tagebücher des Schlächters an das US-Magazin "Life" verkauft, und der deutsche Kanzler fürchtete, daß etwas über Globke darin zu finden sei. Auf Druck der CIA erschien die einzige Passage, in der Adenauers Staatssekretär erwähnt wurde, nicht. Eichmann wurde Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und am 31. Mai 1962 hingerichtet.

Beim Verlassen des Nationalarchivs erinnert ein in Stein gehauener Schriftzug über dem Ausgang: "Die Demokratie beginnt hier."