Hamburg. Als der amerikanische Politologe Samuel P. Huntington 1996 sein Buch "Kampf der Kulturen" vorlegte, erntete er einen Sturm der Entrüstung. Huntington sagte einen "unausweichlichen Zusammenprall" der westlichen und der islamischen Kulturen voraus und empfahl dem Westen mehr inneren Zusammenhalt. Vieles an Huntingtons Thesen bleibt umstritten, doch die jüngste Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen scheint dem Amerikaner in beunruhigender Weise recht zu geben.

Das Problem an dem Streit ist, daß die islamische Kultur, anders als die westliche, bislang weder eine Aufklärung noch eine Reformation erlebt hat. In vielen muslimischen Staaten - von der laizistischen Türkei abgesehen - hat sich der Islam in einer mittelalterlichen Reinkultur erhalten.

Die zweitwichtigste Quelle der islamischen Kultur nach dem Koran, der als Wort Gottes gilt, ist die Sunna - der Kanon der überlieferten Aussagen des Propheten Mohammed. Diese "Hadithe" bilden das Grundgewebe der islamischen Gesellschaftsnormen.

Koran und Sunna sind wiederum die beiden Hauptquellen für das islamische Rechtssystem, der Scharia, die vom Westen wegen ihrer teilweise drakonischen Körperstrafen wie Amputation und Steinigung vehement abgelehnt wird. Ein revolutionäres Zeitalter der Aufklärung, wie es in Europa vor allem im 17. und 18. Jahrhundert stattgefunden hat, fehlt dem Islam völlig. Viele muslimische Staaten existieren im 21. Jahrhundert mit der geistigen Struktur des 7. Jahrhunderts.

In Europa führte die Aufklärung letztlich zu einer Trennung von Staat und Religion. In traditionellen islamischen Staaten jedoch sind Staat, Gesellschaft und Religion eine Einheit; der Islam umfaßt das gesamte öffentliche wie private Leben. Daher rührt der Irrglaube muslimischer Eiferer, europäische Regierungen könnten für die Veröffentlichung der umstrittenen Mohammed-Karikaturen verantwortlich zu machen sein oder sie untersagen.

In offenen, säkularen Systemen wie in Europa und Amerika sind Karikaturen zudem traditioneller Ausdruck der Meinungsfreiheit gegenüber mächtigen Autoritäten. Eine ernsthafte Beleidigung etwa des Propheten ist mit solchem Spott nicht beabsichtigt, aber die andere kulturelle Prägung strenggläubiger Muslime wertet dies so. Angesichts des drückend überlegenen Westens und des daraus resultierenden Unterlegenheitsgefühls nehmen viele Muslime bei Kränkungen reflexartig Zuflucht zu aggressiven Positionen - die ihre Religion teilweise deckt.

Denn im Koran finden sich etliche Passagen - vor allem in der 2., 5., 8. und 9. Sure -, die Gewalt gegen "Ungläubige" rechtfertigen. Im Gegensatz zu Jesus war Mohammed eben auch Feldherr, der mit seinen Feinden nicht zimperlich umging. Und während die Katholiken nach den Massenmorden der Inquisition und der Kreuzzüge längst von gewaltsamer Missionierung Abstand genommen haben, ist im Islam die Option des "äußeren Dschihad", des Bekehrungskrieges gegen die Ungläubigen, noch sehr aktuell.