Taliban: “Haben auf Flugzeug der Kanzlerin gezielt.“ Bundeswehr nennt diese Angaben “völligen Blödsinn“.

Hamburg. Mehr Unterstützung zur Stabilisierung der Sicherheitslage, Lob für die deutschen Aufbauhelfer, Truppenvisite im Feldlager Kundus - Angela Merkels Überraschungsbesuch in Afghanistan stand ganz im Zeichen einer Solidaritätsbekundung. Die Kanzlerin erlebte dabei auch die bedrohliche Sicherheitslage: Unmittelbar nach ihrer Abfahrt wurde das Bundeswehrlager mit zwei Raketen beschossen.

Die Raketen schlugen nach Angaben des Einsatzführungskommandos in Potsdam, aber außerhalb des deutschen Geländes ein. Niemand kam zu Schaden. Die Taliban bekannten sich zu der Attacke. Der Sprecher Sabihullah Mudschahed brüstete sich gegenüber "Spiegel online" und der Deutschen Presseagentur, Ziel des Raketenangriffs sei "das Fugzeug mit Merkel an Bord" gewesen. Merkel war mit dem Regierungs-Airbus zunächst im usbekischen Termez gelandet und von dort mit einem Hubschrauber nach Kundus geflogen. Wegen der angespannten Sicherheitslage war der Besuch bis zuletzt geheim gehalten worden

Mudschahed behauptete dagegen, die Taliban hätten von dem unangekündigten Besuch gewusst und den Angriff vorbereiten können.

Die Bundeswehr wies an ihrem Standort in Masar-i-Scharif die Behauptung, Merkel sei Ziel des Angriffs gewesen, als "vollständigen Blödsinn" zurück. Auch Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sagte, Merkel habe das Lager etwa 20 Minuten vor dem Angriff verlassen. Die Taliban sind dafür bekannt, bei ihren Stellungnahmen häufig zu übertreiben.

Merkel wurde bei ihrer Visite von Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) begleitet. In Kundus informierte sie sich über die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und besuchte außerdem verwundete afghanische Polizisten, die in einem Lazarett der Bundeswehr behandelt wurden. An einem Ehrenhain für getötete Bundeswehrsoldaten gedachte sie der Opfer des Afghanistan-Einsatzes. Die Kanzlerin wollte mit ihrem Besuch hauptsächlich die Verbundenheit der Bundesregierung mit den in Afghanistan eingesetzten Soldaten ausdrücken. "Es gibt Hoffnung", sagte Merkel nach dem Besuch des Feldlagers. Die Sicherheitslage im Land müsse jedoch weiter verbessert werden, insbesondere durch den Aufbau des afghanischen Sicherheitsapparats.

Nachmittags reisten Merkel und Jung weiter zum Bundeswehr-Hauptquartier in Masar-i-Scharif. Zum Abschluss ihres Besuchtages sagte sie, dass der Norden des Landes auch in den nächsten Jahren die Präsenz der Bundeswehr brauche. Die Afghanen seien noch nicht in der Lage, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Erst am Vortag war die Bundeswehr in Kundus unter heftiges Feuer geraten. Zunächst attackierten Unbekannte eine Patrouille mit einem Sprengsatz, wenig später wurde die Bundeswehr mit einer Panzerfaust beschossen. In beiden Fällen wurde niemand verletzt.

Politische Gespräche standen bei Merkels zweitem Besuch in Afghanistan nach 2007 nicht auf dem Programm. Am Vortag hatte die Kanzlerin mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai telefoniert und ihn von der neuen Nato-Strategie für Afghanistan unterrichtet. Deutschland wird die Zahl seiner Soldaten in dem Land in den nächsten Monaten von jetzt 3800 auf 4400 erhöhen. Außerdem kritisierte Merkel scharf das auf Eis gelegte afghanische Ehegesetz, nach dem eine Frau ihrem Ehemann viermal pro Woche für Sexualverkehr zur Verfügung stehen muss.

Die Reise sorgte für Irritationen zwischen Kanzleramt und Außenministerium. Der Sprecher von Minister Frank-Walter Steinmeier, Jens Plötner, sagte, sein Ministerium habe "mehr oder weniger durch Zufall" von der Reise erfahren. Es habe zwar "ein Gespräch unter vier Augen gegeben" - aber erst, nachdem Steinmeier Merkel auf den Truppenbesuch angesprochen habe.