Zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes in Tibet hat der Dalai Lama der chinesischen Regierung eine brutale Unterdrückung in Tibet vorgeworfen. Das geistliche Oberhaupt der Tibeter prangerte das „Leid und die Zerstörung“, das die chinesischen Kommunisten der Region gebracht hätten an und sagte, die Tibeter hätten die „Hölle auf Erden“ erlebt. Weltweit kam es zu Solidaritätskundgebungen mit den Tibetern.

Dharamsala/Peking. Am 50. Jahrestag des tibetischen Volksaufstands hat der Dalai Lama die eine dramatische Anklage gegen China erhoben. Die Volksrepublik habe den Tibetern "die Hölle auf Erden" bereitet, sagte das geistliche Oberhaupt der Tibeter im indischen Dharamsala. Seit dem Aufstand vom 10. März 1959 habe China den Tod von hunderttausenden Menschen verursacht und unaussprechliches Leid über die Himalaja-Region gebracht.

Noch immer lebten die Tibeter "in ständiger Angst" vor den chinesischen Behörden, sagte der Dalai Lama weiter. Zudem drohe eine Auslöschung der tibetischen Sprache, Kultur und Identität. Dennoch strebe sein Volk nicht nach Unabhängigkeit, sondern nach einer rechtmäßigen Autonomie. "Ich habe keinen Zweifel, dass sich die gerechte Sache Tibets letztlich durchsetzen wird", sagte der 73-Jährige.

In der Hauptstadt Neu Delhi protestierten unterdessen Hunderte junge Exil-Tibeter friedlich gegen die chinesische Besatzung. In Sprechchören forderten die Demonstranten ein Ende der Gewalt in Tibet. Zahlreiche Teilnehmer schwenkten tibetische Fahnen und Transparente mit Aufschriften wie "China lügt" oder "Dalai Lama".

Das geistliche Oberhaupt hatte die Exil-Tibeter zunächst dazu aufgerufen, in stillem Gedenken und mit Gebeten an den Jahrestag des Aufstands zu erinnern. "Wir haben keine andere Wahl als friedlich zu protestieren, dennoch verspüren wir große Wut gegenüber China", erklärte einer der Protestteilnehmer. Auch im Nachbarland Nepal gab es Kundgebungen.

Der Dalai Lama räumte in seiner Rede ein, dass die Gespräche zwischen der Exil-Regierung in Dharamsala und der Führung in Peking bislang keine Ergebnisse gebracht habe. Doch obwohl China seit den Unruhen im März vergangenen Jahr mit brutaler Gewalt auf Proteste der Tibeter reagiere, werde die Exil-Regierung auch in Zukunft am gewaltfreien "Weg der Mitte" festhalten, so der Dalai Lama weiter. Denn die Politik, sich im Dialog für Autonomie einzusetzen, werde von der großen Mehrheit der Tibeter unterstützt.

"Rückblickend auf 50 Jahre im Exil, haben wir viele Höhen und Tiefen erlebt", erklärte der Dalai Lama. Gleichwohl sei es eine "große Errungenschaft", dass das Tibet-Problem nach wie vor lebendig sei und auch die internationale Gemeinschaft großen Anteil daran nehme. "Von diesem Standpunkt gesehen, habe ich keinen Zweifel, dass die Gerechtigkeit eines Tages die Oberhand gewinnen wird", so das geistliche Oberhaupt der Tibeter weiter. Allerdings müssten die Tibeter dafür am "Weg der Wahrheit und Gewaltfreiheit" festhalten.

Die chinesischen Behörden verschärften zum Jahrestag die Sicherheitsvorkehrungen in allen Regionen mit tibetischen Minderheiten. Ausländer wurden zum Verlassen dieser Gebiete aufgerufen. Bewohner und Geschäftsleute in der tibetischen Hauptstadt Lhasa berichteten von verstärkten Straßenpatrouillen bewaffneter Polizisten.

Bei Demonstrationen in mehreren Ländern forderten Tausende Menschen ein Ende der chinesischen Herrschaft in Tibet. In der australischen Hauptstadt Canberra kam es vor der chinesischen Botschaft zu einem Handgemenge zwischen Demonstranten und der Polizei. Vier Menschen wurden nach Polizeiangaben festgenommen. Sie hatten versucht, eine Absperrung zu durchbrechen. An dem Protestmarsch beteiligten sich auch mehrere Abgeordnete.

In Nepal stoppte die Polizei einen Protestmarsch von etwa 100 Tibetern am Rand der Hauptstadt Kathmandu. Die Umgebung der chinesischen Botschaft wurde von einem großen Polizeiaufgebot gesichert. In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul zogen 30 Aktivisten vor die chinesische Botschaft und hielten Transparente hoch mit der Forderung "Frieden in Tibet". Auch in Berlin und Hamburg kam es zu Kundgebungen zum 50. Jahrestag des Tibet-Aufstandes.

Mehr als 30 Politiker aus 15 Parlamenten unterzeichneten einen Appell, in dem sie zu einer friedlichen Lösung und zur Beachtung der Menschenrechte aufrufen. Aus dem Bundestag beteiligten sich der Vorsitzende des Tibet-Gesprächskreises, Holger Haibach, sein Stellvertreter Harald Leibrecht und die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth.

China beansprucht Tibet als Teil des eigenen Territoriums. 1951 marschierten chinesische Truppen in dem Hochland ein. Danach kam es immer wieder zu Spannungen, die im Aufstand vom 10. März 1959 gipfelten. Bei der gewaltsamen Niederwerfung wurde am 17. März die Sommerresidenz des Dalai Lama beschossen, der daraufhin mit Tausenden Anhängern über den Himalaja nach Indien floh. Von den insgesamt knapp sechs Millionen Tibetern leben heute etwa 110 000 im indischen Exil. 20 000 Tibeter haben sich in Nepal niedergelassen.

Der Jahrestag des Tibet-Aufstands ist wiederholt Anlass von Protesten gegen die chinesische Herrschaft gewesen. Im vergangenen Jahr kam es zu wochenlangen Unruhen, die von Lhasa auf benachbarte Provinzen übergriff. Dabei kamen nach offiziellen Angaben 22 Menschen ums Leben. Nach Schätzungen von Exil-Tibetern war die Zahl der Toten jedoch zehn Mal so hoch.