Am Sonntag wählen die Griechen zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen ein Parlament. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Gegnern und Befürwortern des Sparpakets wird erwartet.

Athen. Nervös schaut Europa auf die Parlamentswahl an diesem Sonntag in Griechenland. Von der Entscheidung der Griechen hängt nach Ansicht vieler Analysten ab, ob das Land in der Eurozone bleibt. Verabschiedet sich Griechenland von der Einheitswährung, könnte eine Währungskrise ganz Europa erschüttern. Angesichts einer drohenden Staatspleite stehen die knapp 9,7 Millionen Wahlberechtigten vor einer Richtungswahl. Nach letzten Umfragen deutet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der konservativen Nea Dimokratia (ND) und dem Bündnis der radikalen Linken (Syriza) ab.

Die Konservativen sind klar für einen Verbleib im Euroland – das Sparprogramm wollen sie aber lockern. Der Chef der Linken, Alexis Tsipras, meinte dagegen: „Der Euro ist für uns kein Fetisch“. Der Vorsitzende der Konservativen, Antonis Samaras, will daran nicht denken: „Wir werden niemandem erlauben, mit der Zukunft unseres Landes zu spielen und uns aus dem Euroland herauszuführen“, sagte er am späten Freitagabend bei seiner Wahlkampf-Abschlussrede in Athen.

Entsprechend zwiespältig war das Bild in der griechischen Presse am Samstag. Überzeugt von dem Sieg der Linken schrieb das Parteiblatt des Linksbündnisses Syriza, das Volk werde „dem korrupten System ein Ende bereiten“. Eine neue „gerechte und solidarische Gesellschaft sei im Kommen“. Die Zeitung der politischen Mitte, „Ta Nea“ titelte: „Euro oder Drachme“ – dies sei das Dilemma. Darunter druckte das Blatt zwei Münzhälften, eine des Euro und eine der alten Währung, der Drachme. In einem Kommentar hieß es, es wäre schade, wenn Griechenland ausgerechnet jetzt, wo die Stimmung in Europa sich gegen rigides Sparen wende, die Eurozone verlasse. Die konservative Zeitung „Kathimerini“ meint, es werde am Sonntag ein Wettstreit zwischen den Konservativen und der Linken geben. Boulevardzeitungen machten Panik - am Montag werde es eine „Volksrevolution“ geben.

Die Finanzmärkte waren vor der Wahl nervös, weil der Wahlausgang und die Folgen für die Weltwirtschaft schwer einzuschätzen sind. Auch wenn es offiziell keine Bestätigungen dafür gibt: Notenbanken und Politik stehen wohl bereit, um auf einen möglichen Absturz der Märkte schnell reagieren zu können. Jedoch wollte die Europäische Zentralbank (EZB) Berichte nicht bestätigen, die wichtigsten Notenbanken der Welt planten ein gemeinsames Vorgehen im Falle von Marktturbulenzen. „Kein Kommentar“, hieß es bei der EZB in Frankfurt.

Das neu gewählte Parlament in Athen muss über Einsparungen in Höhe von knapp 11.5 Milliarden Euro entscheiden. Für die europäischen Geldgeber ist dies die Voraussetzung für weitere Unterstützung und den Verbleib Griechenlands im Euroland. Zur Wahl treten 21 Parteien an. Acht haben gute Chancen, die Drei-Prozent-Hürde zu überspringen und ins Parlament einzuziehen, unter ihnen auch die rassistische, ausländerfeindliche und ultrarechte Partei Goldene Morgenröte.

Das Wahlsystem ist eine Mischung aus einfacher und verstärkter Verhältniswahl, bei der die politisch stärkste Kraft begünstigt wird. 250 der 300 Sitze im Parlament werden per einfacher Verhältniswahl verteilt. Die stärkste Partei bekommt dann einen Bonus von 50 Sitzen.

Die Abstimmung beginnt um 07.00 Uhr Ortszeit (06.00 MESZ). Die Wahllokale sollen um 19.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MESZ) schließen. Unmittelbar danach gibt es eine Prognose auf der Grundlage von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe. Mit ersten Hochrechnungen wird gegen 19.30 MESZ gerechnet. Wahlexperten erwarten jedoch eine lange Nacht, weil mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zu rechnen ist und keine Partei allein eine Mehrheit im Parlament erreichen dürfte.

Euro-Krise – immer wieder Zittern um Athen

25. März 2010: Es wird über eine Staatspleite spekuliert. Die Euro-Länder sagen Athen vorsorglich ein Hilfspaket unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu.

2. Mai 2010: Griechenland droht akut die Insolvenz. Die Eurogruppe beschließt bilaterale Notkredite von 110 Milliarden Euro und verlangt einen harten Sparkurs. Ebenfalls im Mai 2010 wurde der erste „Rettungsschirm“ gespannt. Er besteht aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Dieser Kreditfonds kann Darlehen bis zu 440 Milliarden Euro ausgeben. Die EU-Kommission steuert zusätzlich 60 Milliarden Euro bei, der IWF nochmals 250 Milliarden Euro.

16. Dezember 2010: Der EU-Gipfel beschließt einen permanenten Rettungsschirm (ESM) für die Zeit ab 2013. Später wird der Start auf Juli 2012 vorgezogen. Er soll mit 500 Milliarden Euro an verfügbaren Notkrediten ausgestattet werden. Um den Euro-Schutzwall zu erhöhen, wurde das maximale Hilfsvolumen Ende März 2012 auf rund 800 Milliarden Euro ausgeweitet.

25. März 2011: Ein EU-Gipfel verabschiedet ein Paket zur Überwindung der Schuldenkrise. Dazu gehören der permanente Rettungsschirm, eine Schärfung des Stabilitätspakts und ein neuer „Euro-Pakt-Plus“, mit dem sich die Regierungschefs zu Strukturreformen verpflichten.

29. Juni 2011: Das Parlament in Athen nimmt ein radikales Sparpaket der Regierung an – Voraussetzung für eine Teilzahlung aus dem Hilfspaket. Ohne die Hilfe wäre das Land zahlungsunfähig geworden.

21. Juli 2011: Auf einem Gipfel einigt sich die EU auf ein neues Griechenland-Rettungsprogramm im Volumen von zunächst 109 Milliarden Euro.

27. Oktober 2011: Euro-Länder und Banken einigen sich auf eine Entschuldung für Athen und das zweite Rettungspaket von 130 Milliarden Euro. Gegen harte Sparauflagen gibt es Proteste.

10. November 2011: Lucas Papademos löst Giorgios Papandreou als Regierungschef ab. Seine Übergangsregierung soll die Sparmaßnahmen einleiten, ohne die das Hilfspaket nicht aktiviert werden kann.

12. Februar 2012: Das Parlament in Athen billigt das Sparpaket, das nach Forderung der internationalen Geldgeber verschärft werden muss.

21. Februar 2012: Die Länder der Eurozone geben grünes Licht für das

130-Milliarden-Hilfspaket. Voraussetzung für eine endgültige Freigabe ist aber ein Erfolg des Schuldenschnittes. 9. März 2012: Mit der größten Staatsumschuldung aller Zeiten verschafft sich Griechenland Luft im Kampf gegen die Pleite. Athen meldet eine breite Beteiligung am Schuldenschnitt, der das Land um mehr als 100 Milliarden Euro entlasten wird. Die Euro-Finanzminister geben umgehend einen Teil des neuen 130-Milliarden-Hilfspakets frei.

20./21. März 2012: Das griechische Parlament stimmt in der Nacht dem zweiten Rettungspaket zu. 30. März: Die Euro-Finanzminister beschließen, den Euro-Schutzwall auf rund 800 Milliarden Euro auszuweiten. 6. Mai 2012: Bei der griechischen Parlamentswahl verlieren die Unterstützer des Sparprogramms die Mehrheit. Gestärkt werden radikale Parteien, die sich einer Sanierung des Landes verweigern. Alle Versuche zur Regierungsbildung scheiterten. Es kommt zu Neuwahlen am 17. Juni.

17. Juni: Die Griechen stehen vor der wichtigsten Wahl ihrer jüngsten Geschichte. Letzten Umfragen zufolge wird an diesem Sonntag keine der Parteien die absolute Mehrheit von 151 Abgeordneten im griechischen 300-Sitze-Parlament stellen.

Mit Material von dpa