Sie müssen ihren Politikern vorgeben, wohin der Weg führen soll. Bleibt das Land in der Euro-Zone oder versucht es allein aus der Krise zu kommen?

Athen. Verunsicherung und Ratlosigkeit. Zorn über die Politiker, die sich nicht einigen können, und nackte Angst vor den Folgen, die dieser Urnengang für die elf Millionen Menschen in Griechenland haben wird. So ist die politische Stimmung vor der Parlamentswahl an diesem Sonntag. Denn das Land rückt unter der Last der schweren Finanzkrise immer näher an den Abgrund heran. Doch die Politiker haben nichts anderes zu tun, als sich zu beschimpfen. Alles, was die Griechen in den vergangenen 30 Jahren aufgebaut haben, könnte bald zusammenbrechen.

Die wichtigsten Fragen - wer rettet das Land und wie kann man es retten - werden kaum noch diskutiert. Die Zeit läuft davon. Die Wahl hat mittlerweile den Charakter eines Referendums angenommen: Bleibt Griechenland im Euro-Land oder nicht. "Der Euro ist kein Fetisch für uns", sagt der Chef des Bündnisses der radikalen Linken (Syriza), Alexis Tsipras. Der Popstar der griechischen politischen Szene hat Aufwind. Der 37-Jährige will das alte korrupte System "ein für alle Male in die Truhen der Geschichte" versenken. Tsipras erntet bei vielen Griechen Beifall, wenn er sagt, dass man das Land nicht mit einem Sparprogramm retten könne, das die Wirtschaft abwürge und jeden zweiten jungen Menschen arbeitslos gemacht habe. Ganz Europa könne untergehen, droht er.

+++ Sparer ziehen täglich Millionenbeträge von Konten ab +++

Die Aussagen von Tsipras sind gefundenes Fressen für die Konservativen. "Tsipras und sein buntes radikales Linksbündnis haben als geheimes Ziel, Griechenland aus der Euro-Zone zu führen", sagen die Konservativen. Ihr Chef Antonis Samaras ruft in den letzten Tagen immer wieder die Bürger auf, "das Land zu retten". Die Konservativen bezeichnen Tsipras als "Zauberlehrling". Er verwechsle "Politik mit Poker" und spiele mit der Zukunft des Landes. Das Land benötigt eine handlungsfähige und stabile Regierung, die es aus der Krise führt. Platz in dieser Regierung hätten alle proeuropäischen Kräfte, meinen die Sozialisten und deren Chef Evangelos Venizelos. "Ich habe die Bildung einer Regierung der nationalen Verantwortung vorgeschlagen", sagte Venizelos am Freitag im Fernsehen. "Wir verlieren wertvolle Zeit, wenn wir uns streiten."

Die Veröffentlichung von Umfragen ist in den letzten beiden Wochen vor der Wahl nicht gestattet. Das heißt nicht, dass Parteien oder Banken keine durchführen. Wilde Gerüchte machen die Runde. Demnach soll das Bündnis der radikalen Linken (Syriza) sogar schon bei 40 Prozent liegen. Die Radikallinken könnten in diesem Fall allein regieren. In allen anderen "geheimen" Umfragen soll die konservative proeuropäische Partei Nea Dimokratia (ND) führen. Davon ging auch die Athener Börse am Donnerstag aus. Es gab eine Explosion des Indexes um zehn Prozent. Allerdings sieht es so aus, als ob keine der beiden Parteien am 17. Juni eine absolute Mehrheit von 151 der insgesamt 300 Sitze im griechischen Parlament erreichen wird.

+++ Griechenland steht vor der Schicksalswahl +++

Während die Politiker streiten, bricht der griechische Staat Stück für Stück auseinander. Die Apotheken geben Medikamente nur gegen Bargeld ab. Die Auszahlung von Renten und Löhnen der Staatsbediensteten ist nur bis Mitte Juli gesichert. Die Angst um das Ersparte bringt die Menschen dazu, ihr Geld aus den Banken zu nehmen. "Zwischen 100 bis 500 Millionen Euro täglich", sagt ein ranghoher Angestellter der zweitgrößten griechischen Privatbank. Die Arbeitslosenquote lag im ersten Quartal bei 22,6 Prozent - der höchste Stand in der Geschichte des Landes, wie die Statistikbehörde ELSTAT mitteilte.

Die Griechen sind tief gespalten und verunsichert, wem sie ihre Stimme geben sollen. "Ich werde für die Linke (Bündnis der radikalen Linken) stimmen. Ich habe keine Angst mehr vor den Drohungen, dass Griechenland aus dem Euro-Land rausgeschmissen wird", sagte die 24 Jahre alte Maria Z. "Wir haben nichts zu verlieren. Die meisten jungen Leute sind hier arbeitslos", fügt sie hinzu. "Und die Geldgeber drohen uns mit der Pleite. Na und?"

"Ich will nicht meine Arbeit beim Staat verlieren. Die (Geldgeber) wollen, dass 150 000 Staatsbedienstete gehen. Das mach ich nicht mit. Ich hatte früher Sozialisten gewählt, jetzt geht meine Stimme an die Linke", sagt Frangos S., ein Angestellter im Gesundheitsministerium. Er ist 56 Jahre alt und steht auf der Liste der Staatsbediensteten, die bald gehen sollen. Das Bündnis der radikalen Linken verspricht, keine Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zu entlassen. "Um Gottes willen, bloß nicht diese verkleideten Kommunisten der radikalen Linken. Die führen uns in die Katastrophe", sagt dagegen der 72 Jahre alte Rentner Nikos Kelepouris. Er arbeitet als Bote bei einer Privatfirma, um seine kleine Rente aufzubessern. "Wenn die (die Linken) rankommen, dann haben wir erst recht keine Arbeit mehr. Ich wähle Konservative."

Anders reagieren Menschen, die in heruntergekommenen Stadtvierteln in Athen wohnen. Dort leben auch Zehntausende illegale Migranten wie in Gettos. Die Kriminalität ist während der vergangenen Jahre enorm gestiegen. Giorgos F., ein Besitzer eines kleinen Schuhgeschäftes im Stadtteil Agios Panteleimon, sagt: "Du wirst dich wundern, was am Sonntag aus den Urnen rauskommt." Damit meint er, dass viele Leute in diesen Bezirken ihre Stimme den Rechtsradikalen der "Goldenen Morgenröte" geben werden. "Die werden diese Migranten allesamt rausschmeißen", sagt Giorgos F.

Egal wie die Wahlen ausgehen, Griechenland dürfte kaum zur Ruhe kommen. Sollten die Befürworter eines pro-europäischen Kurses - die Bürgerlichen und die Sozialisten - gewinnen, dann könnten Linksradikale und Kommunisten mit Streiks alle Reformbemühungen zunichtemachen. Sollten die Linksradikalen eine Regierung mit anderen linken Kräften bilden und ihr Versprechen halten, das Spar- und Reformprogramm zu annullieren, droht dem Land eine Staatspleite. Denn die Geldgeber haben für diesen Fall bereits angekündigt, den Geldhahn sofort zuzudrehen.