Seit gestern versucht Sozialisten-Chef Venizelos die Regierungsbildung. Zur Einigung könnte es frühestens im letzten Schlichtungsgespräch kommen.

Istanbul/Athen. Alle in Athen reden von Neuwahlen - nur Evangelos Venizelos nicht, der erfahrenste Jongleur im griechischen Politzirkus. Als Dritter und Letzter der drei führenden Parteichefs erhielt er gestern von Staatspräsident Karolas Papoulias den Auftrag, eine Regierung zu bilden. Die stärkeren Konservativen (Nea Dimokratia, ND) und die Linksradikalen (Syriza) waren daran zuvor gescheitert. Und zumindest in den Medien glaubt niemand so recht, dass es Venizelos anders ergehen wird. Schon kursieren Termine für Neuwahlen - am 10. Juni oder doch eher am 17.?

Nur Venizelos klang, wie er selbst sagte, "nicht optimistisch, aber verantwortungsbewusst", als er vor seiner Parlamentariergruppe orakelte: "Wir glauben, dass dieses Parlament eine lebensfähige und verantwortungsbewusste Regierung bilden kann." Das war eine kühne These. Der allgemeine Konsens war bislang, dass die Wahlergebnisse die Bildung jedweder Regierung, geschweige denn einer "verantwortungsbewussten", fast unmöglich gemacht haben.

Und doch klang auch Staatspräsident Papoulias seltsam bedeutungsschwanger, als er Venizelos das Mandat zur Regierungsbildung gab. "Chancen warten nicht", sagte er. Welche Chancen mag der greise Staatschef wohl sehen? Nirgends am Horizont scheint eine zu sein. Die Kluft, die unüberwindbar wirkt, ist das sogenannte Memorandum, also die mit der EU vertraglich abgemachten Reformen und Sparpakete. Pasok und ND sind die einzigen Parteien, die dazu stehen, sie haben diese Verträge ja auch unterschrieben. Syriza hat die Abmachungen hingegen definitiv für "ungültig" erklärt, sodass nicht recht erkennbar ist, wie man dort gegebenenfalls einen kompletten Kurswechsel hinbekommen könnte. Ein solcher Kurswechsel aber wäre die Bedingung, um mit Pasok und ND ins Geschäft zu kommen. Ohne eine dieser beiden Altparteien kann derzeit keine der neuen Kräfte regieren, ND und Pasok aber auch nicht ohne neuen Bündnispartner. Nur, es gibt für sie keinen Partner. Jedenfalls nicht, wenn die Sparpolitik bleibt.

+++ Venizelos versucht Regierungsbildung in Griechenland +++

Wo also soll die Lösung sein? Venizelos, ein Machtmensch, scheint die Lösung in der Macht zu sehen. Er hat Syriza angeboten, eine von ihr gebildete Minderheitsregierung zu unterstützen. ND-Chef Antonis Samaras hat das ebenfalls angeboten. Das Kalkül: Syriza-Chef Alexis Tsipras hat - vielleicht - nur diese eine Chance.

+++ Der Euro sagt Akropolis adieu +++

Sein lauter Aktivismus in den letzten Tagen hat manche seiner Wähler verstört. Er kostete das Land eine Milliarde Euro mit seinen wilden Attacken gegen die EU; diese Summe wurde wegen Tsipras einbehalten, als gestern aus Brüssel die jüngste Tranche der Notkredite überwiesen wurde. Auch Syrizas Ankündigung, eventuell die Banken zu verstaatlichen, hört sich nach kommunistischem Abenteuer an. Die Kommunisten (KKE) haben das verstanden: Sie giften heftig gegen Syriza, denn Tsipras nimmt ihnen Wähler weg. In Athen hört man viele linke Wechselwähler klagen, sie hätten doch lieber bei Pasok bleiben sollen, statt für Syriza zu stimmen. Sie wollen keine Revolution, sondern Renten.

Syriza hat also einen Grund, Neuwahlen zu fürchten. Dann doch lieber die Prinzipien vergessen und die Macht akzeptieren - so lautet der Hintersinn in Venizelos' Offerte an das Linksbündnis. Macht tröstet über vieles hinweg. Es würde darauf hinauslaufen, im Verbund aller Parteien die EU zu einigen kosmetischen Zugeständnissen zu bewegen, mit denen Syriza sich dann brüsten könnte, ohne den Kern der Reformen zu berühren.

Kann das funktionieren? Voraussichtlich nicht unter Evangelos Venizelos als Verhandlungsführer. Aber überraschenderweise sprach Syriza Stunden nach dessen Äußerungen erstmals von einer "kurzen" Allparteienregierung. Allerdings nur, um das Wahlrecht zu ändern, denn auch Syriza will von dem 50-Mandate-Bonus profitieren. Das griechische Wahlrecht gewährt der stärksten Partei jeweils 50 zusätzliche Stimmen. Nur Syriza würde davon nicht profitieren, weil es ein Parteienbündnis, aber keine Einzelpartei ist.

Zu einer etwaigen Einigung in letzter Minute würde es aber wohl erst beim letzten Schlichtungsgespräch kommen, nachdem Venizelos sein Sondierungsmandat zurückgegeben hat. Darauf deutet eine Äußerung von Panos Kammenos, dem Chef der neuen Partei Anel, hin. Er weigerte sich zwar, mit Venizelos zu sprechen, grenzte sich aber zugleich überraschend von Syrizas Forderungen ab und sagte, er werde zum entscheidenden Schlichtungsgespräch bei Papoulias kommen.

Ein heilsamer Schock für die Anti-Memorandum-Parteien mag die harte Reaktion der EU und der Geberländer sein, die am Mittwoch erstmals mit einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone oder gar der EU drohten. Das will kein griechischer Wähler. Parteien, die das herbeiführen, würden an den Urnen brutal abgestraft werden.

EU und IWF haben dem Land in zwei "Hilfspaketen" bislang mehr als 200 Milliarden Euro Notkredite zugesichert. Aus einem ersten Hilfspaket erhielt Griechenland 73 Milliarden Euro, davon 15 aus Deutschland. Ein zweites Hilfspaket sieht im Rahmen des Euro-Rettungsfonds ESFS zusammen mit unverbrauchten Mitteln aus dem ersten Hilfsprogramm weitere 173 Milliarden an Krediten vor. Davon trägt Deutschland 45 Milliarden. Zudem verzichteten Griechenlands Gläubiger auf weitere 100 Milliarden Euro an Forderungen.