25 US-Elitesoldaten stürmten das Versteck des meistgesuchten Mannes der Welt im pakistanischen Abbottabad. Osama Bin Laden starb im Kugelhagel.

Es war gegen 1.30 Uhr in der Nacht, als zwei amerikanische Hubschrauber plötzlich über einem ausgedehnten Wohnkomplex in einem bergigen Gebiet knapp 60 Kilometer nördlich der pakistanischen Hauptstadt Islamabad auftauchten. Vermutlich waren es Maschinen der Typen Blackhawk und Apache, eine Kombination aus Transportkapazität und Kampfkraft also. Blitzartig stob eine Gruppe schwarz vermummter Elitesoldaten aus den Maschinen - der US-Sender ABC sprach von insgesamt 25 Männern. Zwar eröffneten Bewaffnete das Feuer mit Sturmgewehren auf sie, aber für die Soldaten, Angehörige der US-Spezialeinheit Navy SEALs waren sie letztlich keine Gegner. Das Feuergefecht in dem ausgedehnten Wohnkomplex dauerte rund 40 Minuten. Dann herrschte Grabesstille auf dem Anwesen - und die aufwendigste Menschenjagd der Geschichte war vorbei.

Fünf Leichen lagen in den Gemäuern, eine davon nahmen die amerikanischen Soldaten mit sich. Es war der Körper des meistgesuchten Mannes der Welt: Osama Bin Laden, Terrorfürst und geistiger Führer des Netzwerkes al-Qaida. Ein Gen-Schnelltest und eine Software zur Gesichtserkennung schlossen jeden Zweifel aus.

Die übrigen Leichen sowie einen der Hubschrauber ließen die US-Soldaten zurück. Die Maschine, die einen technischen Schaden erlitten hatte - oder vielleicht auch durch Beschuss ausgefallen war - wurde gesprengt.

"Wollen Sie Bin Laden tot sehen?", hatte ein Reporter einen sichtlich erschütterten US-Präsidenten George W. Bush nach den verheerenden Anschlägen des 11. September 2001 gefragt. Und Bush hatte geknurrt: "Ich will ihn - ich will Gerechtigkeit. Draußen im Westen gibt es da dieses alte Poster, auf dem es, wie ich mich erinnere, hieß: ,Gesucht: tot oder lebendig.'"

Am Ende war es der Tod, der auf Bin Laden wartete; nicht eine schmachvolle Gefangennahme und eine lebenslange Haft. Der Schuss in den Kopf aus der Waffe eines US-Soldaten ist für viele Amerikaner gewiss die geeignete Antwort auf die monströsen Verbrechen des saudischen Terrorführers. Er lebte durch die Gewalt - und er starb durch sie. Mit ihm kamen drei weitere Männer ums Leben, darunter vermutlich ein Sohn, eines seiner mindestens 15 Kinder. Auch eine Frau soll tödlich getroffen worden sein; einer der Männer auf dem Anwesen soll sie als menschlichen Schutzschild missbraucht haben und hinter ihr in Deckung gegangen sein. War es Bin Laden? Zwei weitere Frauen wurden offenbar verletzt.

Die SEALs nahmen keine Rücksicht, es ging ihnen immerhin darum, Bin Laden nach zehn Jahren endlich zu eliminieren. Seal - das englische Wort für Robbe ist zugleich eine Abkürzung für die Worte Sea, Air, Land - (See, Luft, Boden) verweist auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten dieser rund 2450 Mann starken Sondertruppe, die an allen Konflikten der USA seit den 60er-Jahren beteiligt war. Sie jagten Osama Bin Laden auch vergeblich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.

Doch der Al-Qaida-Führer hatte sich vor fünf Jahren bereits eine Privatfestung in Abbottabad unweit der pakistanischen Hauptstadt bauen lassen - ausgerechnet dort, wo auch viele Generale der Streitkräfte Pakistans leben. Dass niemand der Anwohner wusste, wer dort lebte, ist unwahrscheinlich. Abbottabad ist Garnisonsstadt, in der Nähe des Osama-Hauses liegt die Militärakademie Kalkul.

Vor zwei Jahren hatten die US-Geheimdienste etwas Absonderliches festgestellt. Sie waren einem Kurier auf die Spur gekommen, der für al-Qaida arbeitete. Der Mann galt als Vertrauter von Chalid Scheich Mohammed, dem Planer der Anschläge vom 11. September 2001. Im August 2010 folgten ihm US-Agenten nach Abbottabad. Und sie staunten nicht schlecht. Der Terror-Bote und sein Bruder hatten sich dort offenbar ein riesiges umzäuntes Anwesen errichten lassen - mit einer fast fünf Meter hohen, stacheldrahtbewehrten Mauer und einem dreistöckigen Hauptgebäude plus Nebenhäusern und zahlreichen Schutzwänden. Doch mit ihrem schmalen Einkommen konnten sich die beiden Männer ein solches Anwesen unmöglich leisten - es ist mindestens eine Million Dollar wert. Das Haus hatte seltsamerweise weder Telefon- noch Internetanschluss - ein starker Hinweis auf konspiratives Verhalten. Zudem verbrannten die Bewohner sorgfältig jeden Müll - anstatt ihn von der Müllabfuhr abholen zu lassen.

Die US-Agenten sahen genauer hin - auch mithilfe von Satellitenfotos. "Wir waren geschockt von dem, was wir sahen", sagte ein hoher US-Beamter dem Sender CNN. Die Brüder lebten auf einem einzigartigen Areal - und in einem Haus, das achtmal so groß war wie das der Nachbarn in der Umgebung.

In Washington zog man den Schluss, dass dieses Anwesen ganz speziell für eine Person von großer Bedeutung errichtet worden sein musste. Der Gedankensprung zu dem spurlos untergetauchten Osama Bin Laden war dann nicht mehr weit. Nur eine Handvoll Top-Leute in der US-Regierung wusste davon, sie teilten ihre Erkenntnis auch mit keiner anderen Regierung. Schon gar nicht mit der pakistanischen - der mächtige Geheimdienst ISI ist berüchtigt dafür, dass wesentliche Teile des Dienstes eine sehr aktive Sympathie für Taliban und al-Qaida hegen.

Der ISI behauptete allerdings, er sei dann beim Zugriff in Abbottabad zugegen gewesen.

Im Februar dieses Jahres waren die Hinweise auf Bin Laden so stark, dass US-Präsident Barack Obama zwischen März und Ende April insgesamt fünfmal den Nationalen Sicherheitsrat in der Sache einberief. Am vergangenen Freitag schließlich gab Obama grünes Licht für den Einsatz.

Jahrelang hatte Pakistans Regierung vehement Hinweise als falsch zurückgewiesen, Bin Laden halte sich auf pakistanischem Boden auf.

Fast zehn Jahre lang hatten US-Geheimdienstler und Elitetruppen den schattenhaften Terrorfürsten vergeblich gejagt. Wenige Monate nach den Anschlägen 2001 war er US-Soldaten verwundet in letzter Minute entkommen. Entgegen der bisherigen Einschätzung der meisten Experten hielt sich der 1,93 Meter große Topterrorist aber eben nicht in den Stammesgebieten an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan, sondern beinahe unter den Augen der pakistanischen Behörden in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa auf.

Die Jahre der fruchtlosen Suche waren in den USA Jahre der Angst, des schlummernden Zorns - und auch der Paranoia. Es war die Zeit, als Bücher mit beunruhigenden Enthüllungen erschienen. Enthüllungen über Vorbereitungen eines Biowaffenangriffs von al-Qaida auf New York, gefunden auf einem Laptop gefasster Terroristen in Bahrain. Enthüllungen über ein Treffen Osama Bin Ladens mit pakistanischen Atomwissenschaftlern.

Man hörte auf einer Cocktailparty in Washington, dass der letzte Verteidigungsminister Bill Clintons sein großzügiges Apartment an der Mall, mit freiem Traumblick auf das Kapitol und auf das Washington Memorial, zugunsten eines Hauses nördlich der Stadtgrenze aufgegeben hatte. Der Grund: Der ehemalige Minister fürchtete einen Anschlag auf das Stadtzentrum.

Man las, dass ein früherer leitender Mitarbeiter der Regierung, der für die Überwachung der Häfen zuständig gewesen war, seinen Pensionärsort danach ausgesucht hatte, so weit wie irgend möglich von amerikanischen Häfen entfernt leben zu wollen. Der Grund: Dieser Experte hielt einen Atomwaffenanschlag per Containerschiff nicht nur für wahrscheinlich, sondern für absolut unabwendbar.

Man sah auch, wie der Doyen der Washingtoner Fernsehjournalisten, Tim Russert, nicht lange vor seinem Tod von einem Hintergrundgespräch mit US-Präsident George W. Bush über die Terrorgefahr zurückkam und entgegen seiner diskreten Haltung darüber mit sichtbarer Erschütterung in den Hauptnachrichten sprach. Bush hatte augenscheinlich einige Andeutungen gemacht, und Russert, in den USA das Pendant zu Hanns Joachim Friedrichs, zeigte sich tief beunruhigt über die Dimension der Gefahr, in der die Welt womöglich schwebe.

Und man sah ungläubig zu, wie nach dem U-Bahn-Angriff auf London 2005 ein früherer US-Geheimdienstmann im Fox-News-Frühstücksfernsehen kundtat, was zu tun notwendig sein könne. Der Moderator fragte: "Wie wird man solcher Terroristen Herr?" Der CIA-Mann, mit leiser Stimme: "Man muss den Moslems das Gefühl nehmen, dass Allah mit ihnen sei." Der Moderator: "Und wie macht man das?" Der CIA-Mann: "Indem man den Moslems zeigt, dass sie sich irren, wenn sie glauben, Allah sei stärker als alles andere." Der Moderator: "Wie könnte das geschehen?" Der CIA-Mann: "Wenn es al-Qaida gelingen sollte, eine Massenvernichtungswaffe in den USA zu zünden, muss man eine islamische Großstadt ausradieren." Der Moderator, mit einem Male aufrecht sitzend: "Und wie könnte man das tun?" Der CIA-Mann, fast beiläufig: "Mit Atomwaffen." Der Moderator, nach Worten suchend: "Und an welche Städte denken Sie so?" Der CIA-Mann: "Oh, Karachi zum Beispiel. Oder Alexandria." Nach einem solchen Dialog war man als Zuschauer bedient.

Der Dialog spiegelte aber wider, was ein durchaus breiter Konsens war. Über den Irakkrieg gab es heftigen Streit - über 9/11 und Osama Bin Laden nicht. Das war ein nationales Trauma. Die Opposition gegen Bush überbot sich in martialischen Formulierungen darüber, was man mit al-Qaida getan hätte, wenn es den Irakkrieg nicht gegeben hätte. Porter Goss, kurzzeitig CIA-Chef, hatte bereits am 20. Juni 2005 bezüglich Osama Bin Laden angedeutet, was nun Gewissheit geworden ist. Auf die Frage von "Time Magazine", ob er Osamas Versteck kenne, sagte Goss: "Ich habe eine ganz vorzügliche Vorstellung davon, wo er ist." Warum man ihn dann nicht fasse? Die Frage, sagte Goss, sei "weitaus komplizierter, als Sie glauben". Wenn es um die "sehr heikle Frage des Umgangs mit geschützten Räumen in souveränen Staaten geht, stoßen Sie auf das Problem unserer internationalen Verpflichtungen, des Fair Play." Geschützte Räume in souveränen Staaten.

George W. Bush hatte nach dem 11. September 2001 gesagt, er werde im Kampf gegen den Terrorismus keinen Unterschied zwischen al-Qaida und solchen Staaten machen, welche al-Qaida Unterschlupf gewährten. Nun deutete sein CIA-Chef an, den USA seien im Fall Bin Laden die Hände gebunden. Es war keine Auskunft, um die schleichende Angst der Amerikaner zu lindern. Bushs erster Generalstabschef wurde mit dem Satz zitiert, was ihm wirklich den Schlaf raube, sei nicht der Irak oder der Iran, sondern Pakistan.

So ging es vielen Amerikanern. Sie haben sich eine bewundernswerte Mühe gegeben, die schleichende Angst im Zaum zu halten und nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Die Grundlage der Vereinigten Staaten, die Freiheit für alle, war gefährdet, wenn die Angst obsiegen würde. Das ahnten viele. Die Angst war tief verwurzelt, und sie wird auch nach dem Tod Osama Bin Ladens nur langsam weichen.