Barack Obamas Innenminister Ken Salazar greift den Konzern wegen Versagens bei der Eindämmung der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko scharf an

Washington. Mit der Drohung, BP "beiseitezuschieben", falls der Konzern die leckende Ölquelle im Golf von Mexiko nicht bald unter Kontrolle bringe, hat die bisher weitgehend hilflos agierende US-Regierung versucht, die Initiative zurückzugewinnen. US-Innenminister Ken Salazar formulierte in Houston, der Kommandozentrale BPs, die schärfste Kritik der Regierung an dem Konzern seit der Havarie der "Deepwater Horizon" am 20. April. BP habe "Frist um Frist verstreichen lassen" und "vom ersten Tag an nicht die Mission erfüllt, die es erfüllen muss". Er sei nicht sicher, sagte Salazar, ob der Konzern überhaupt wisse, was er tue.

Am Sonnabend hatte sich bereits US-Präsident Barack Obama sehr scharf geäußert und von einem "Ausfall der Verantwortlichkeiten" gesprochen - bei BP, aber auch bei den anderen beiden an der Ölbohrung beteiligten Konzernen Halliburton (USA) und Transocean aus der Schweiz. Die drei Firmen haben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe geschoben.

Obamas Innenminister und seine für Heimatschutz zuständige Kollegin Janet Napolitano haben sich gestern an der Küste Louisianas mit Überflügen und in Gesprächen mit lokalen Helfern einen Überblick über das Ausmaß der Umweltkatastrophe verschafft.

Mehr als 110 Kilometer Küste sind nach Angaben der US-Küstenwache von Öl verseucht; die Hälfte davon, in den hoch empfindlichen Feuchtgebieten des Mississippi-Delta, sind, anders als Fels oder Sand, kaum je zu reinigen. Verzweifelte Politiker fordern, man müsse die "wetlands" niederbrennen, um sie zu retten. Ein unter Experten umstrittener Plan, künstliche Sandbarrieren zu errichten, scheiterte bisher am Zögern der Bundesregierung. Während nach weit divergierenden Schätzungen täglich zwischen 5000 und 50 000 Barrel Rohöl aus dem Bohrloch ausströmen - BP saugt davon nach eigenen Angaben mit einem Steigrohr zwischen 1360 und 3000 Barrel auf -, ist die Hilflosigkeit der Regierung schmerzhaft spürbar. Weder die Aufsichtsbehörden noch das Militär haben die Mittel und das Fachwissen, das Leck zu versiegeln. Washington, das gestand indirekt Barack Obama ein, ist auf BP absolut angewiesen. Von "beiseiteschieben" kann keine Rede sein.

BP, Bundesbehörden und Wissenschaftler improvisieren nach einem Super-GAU in 1500 Meter Tiefe, auf den niemand vorbereitet war. Nach US-Medienberichten fehlt es der Meeresschutzbehörde NOAA an tauglichen Messgeräten, um die Dichte der Ölwolken im Golf zu ergründen; nicht einmal die Seekarten, die über die Umweltgefährdung der Küsten Aufschluss geben, sind auf dem neusten Stand, sondern zehn Jahre alt. Die "National Oceanic and Atmospheric Agency" hätte elf Millionen Dollar benötigt, um sie zu aktualisieren. Das Geld war nicht da. Die Abhängigkeit der Regierung von der Hilfe des Verursachers erwies sich am Wochenende, als die von der US-Umweltschutzbehörde EPA gesetzte Frist für BP ablief, ein weniger giftiges Lösungsmittel als Corexit 9500 anzuwenden.

BP erklärte bündig in einem Brief, es gäbe keine Alternativen, die verträglicher und in genügender Menge verfügbar seien. Man bleibe beim Einsatz von Corexit. Mehr als zwei Millionen Liter des chemischen Cocktails, der nach Überzeugung vieler Umweltschützer giftiger ist als das Öl selbst, sind bisher über dem Golf und direkt am Leck versprüht worden. Die Folgen für Tier- und Pflanzenwelt sind unbekannt; von der Wirkung auf Menschen, die Corexit über die Atemwege oder über die Nahrungskette ausgesetzt sind, zu schweigen.

Auch BP zahlt einen ständig steigenden Preis für das Desaster. Der Konzern hat seit der Havarie ein Viertel seines Börsenwerts verloren, die Kosten für die Versuche, das Leck zu schließen, liegen bei 760 Millionen Dollar. BP-Chef Tony Hayward, der die Katastrophe lange kleingeredet hat, bekannte am Wochenende seine "große Frustration" mit den fehlschlagenden Arbeiten. Frühestens am Dienstag kann das nächste Experiment ("top kill"), wieder ein Erstling, versucht werden. Ein Erfolg, so Hayward, könne daher nicht garantiert werden. Robert Dudley, BPs Management Director, wählte Pathos, um seine Firma weniger monströs wirken zu lassen: "Was das Vertrauen in BP angeht, gibt es niemanden - niemanden! -, der niedergeschlagener wäre von dem, was geschehen ist, und der dieses Leck schneller schließen wollte als uns." Die EPA räumt ein, dass eine genauere, unabhängige Volumenmessung des ausströmenden Öls nur mit einem Tiefseeroboter möglich wäre. Zurzeit seien aber schon 16 dieser Gefährte auf dem Meeresboden bei der Arbeit an dem Bohrloch. Man wolle nicht riskieren, ihnen in die Quere zu kommen.

Warum hat Barack Obama BP über einen Monat fast kritiklos gewähren lassen? Ein von Europa stark abweichendes Verständnis, wann der Staat wie stark in Märkte und unternehmerisches Handeln eingreifen sollte, mag eine Konstante sein, die man in Rechnung stellen muss. Doch wichtiger scheint, dass BP alleine der "bad guy" ist, solange die Regierung sich heraushält und nicht mit dem Konzern zusammen scheitert. Rufe von Republikanern, die Ölpest werde Obamas "Katrina" werden, schwellen wieder an. Regierungssprecher Robert Gibbs widerspricht: "Bei ,Katrina' hat die Regierung zu spät gegriffen. Wir waren sofort da und sind seither da." Da - und hilflos.