Shabiha-Kämpfer begehen ein neues Massaker - zahlreiche Frauen und Kinder kommen ums Leben. Russland und China lehnen ein Eingreifen weiter ab.

Hamburg. Und wieder eilten ohnmächtige Militärbeobachter der Vereinten Nationen zum Ort eines grauenhaften Massakers an Zivilisten in Syrien, um einen Bericht aufzunehmen. Wie beim Massaker von Hula am 25. Mai, als Milizionäre und Soldaten 108 Menschen niedermetzelten, darunter 49 Kinder, konnte die Uno auch in den Dörfern Al Kubair und Maarsaf bei Hama das Morden nicht verhindern. Zahlreiche Staaten wiesen hinterher nur die syrischen Botschafter aus - doch das Töten geht weiter. Nach Augenzeugenberichten begann die Aktion auch diesmal mit einem Artilleriebombardement der Armee. Dann stürmten Milizionäre die Dörfer und töteten wahllos Bewohner. Viele von ihnen wurden mit Messern ermordet. Die Angaben über die Gesamtzahl der Opfer schwankten - einige Quellen sprechen von 87 Toten, andere von mehr als 100, wie in Hula. Es ist die Rede von 20 toten Kindern und 20 toten Frauen.

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US-Außenministerin Hillary Clinton sagte entsetzt, was in Syrien passiere, sei "schlichtweg skrupellos". Syrien könne kein friedliches, stabiles und demokratisches Land werden, solange Präsident Baschar al-Assad an der Macht sei, sagte Clinton in Istanbul, wo die wichtigsten Außenminister der "Syrien-Freundesgruppe", in der auch Deutschland vertreten ist, über die Dauerkrise berieten.

Hama, die Stadt, in deren Nähe die betroffenen Dörfer liegen, hat in Syrien keinen guten Klang. 1982 hatte der Vater des jetzigen Machthabers, Hafis al-Assad, Spezialeinheiten unter Führung seines Bruders Rifaat dort ein Massaker an der Bevölkerung anrichten lassen. Rund 30.000 Menschen starben dabei, die Stadt wurde teilweise zerstört.

Bei den Tätern der jüngsten Gräueltat handelt es sich nach Augenzeugenberichten um dieselben wie in Hula im Mai: die gefürchteten Shabiha-Milizen.

Das Wort leitet sich vom arabischen Wort für "Geist" ab und bezeichnet zugleich üble Verbrecher. Die Shabiha, deren Zahl auf mehrere Zehntausend geschätzt wird, bilden eine paramilitärische Gruppe; zugleich sind sie Teil einer mafiaartigen Organisation, die mit den mittelamerikanischen Drogenkartellen verglichen wird.

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Diese Organisation wird von zwei Neffen des Staatschefs, Fawas und Mundhir al-Assad, geleitet und macht sehr viel Geld mit Drogenhandel und Schmuggel. Die Shabiha rekrutieren ihren Nachwuchs vorzugsweise in Elendsvierteln syrischer Städte. Ihre Schläger sind meist von erheblicher geistiger Schlichtheit. Sie werden dazu angehalten, muskelaufbauende Anabolika einzunehmen, was ihnen oft ein monströses Aussehen verleiht. "Sie waren wie Monster", sagte der Arzt Dr. Musab Azzawi, der in Latakia einige verwundete Shabiha-Mitglieder behandelte, dem Londoner "Daily Telegraph". "Sie hatten gewaltige Muskeln, riesige Bäuche, lange Bärte. Sie waren alle sehr groß und furchterregend und nahmen Steroide, um ihre Körper aufzupumpen. Ich musste zu ihnen reden wie zu kleinen Kindern, denn die Shabiha ziehen Mitglieder mit niedriger Intelligenz vor. Aber genau das ist es, was sie so entsetzlich macht - die Kombination aus brutaler Kraft und absoluter Hingabe an das Regime."

Die Shabiha-Milizionäre gehören fast alle der Minderheit der Alawiten an - nicht zu verwechseln mit den liberalen Alewiten in der Türkei. Die Alawiten, die rund 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind die herrschende Schicht in Syrien. Das hat historische Ursachen; nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches suchte die französische Kolonialmacht Kämpfer, die Frankreichs Herrschaft gegen einen Aufstand der sunnitischen Araber verteidigen würden - und fand sie in der Sekte der Alawiten oder Nusairier.

Diese teilen einige Glaubensinhalte mit den Schiiten, sind aber keine und werden von strenggläubigen Sunniten wie Schiiten nicht als echte Muslime anerkannt. Der Assad-Clan besteht aus Alawiten und hat alle wichtigen Funktionen in Syrien mit ihnen besetzt. Die Shabiha-Milizen haben sich mit ihrer extremen Brutalität, die auch vor Massakern an Kindern nicht haltmacht, auf Gedeih und Verderb mit dem Assad-Regime verbunden. Fallen Shabiha-Milizionäre den Rebellen in die Hände, werden sie zumeist sofort liquidiert.

Um die Gewalt in Syrien zu beenden, will Russland nun den Iran in die Verhandlungen mit einbeziehen. Teheran stellt eine Art Schutzmacht Syriens dar, beide Regime finanzieren und bewaffnen die nahöstlichen Terrorgruppen Hamas und Hisbollah. Russlands Präsident Wladimir Putin lehnt ebenso wie Chinas Amtskollege Hu Jintao jedoch weiterhin jegliche "einseitige Sanktionen" gegen das Assad-Regime ab. Das erklärten beide Staaten sowie ihre vier zentralasiatischen Partnerländer (Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan) auf dem Gipfel der Shanghaier Kooperationsorganisation (SCO) in Peking. Damit wurde "eine bewaffnete Intervention" oder überhaupt ein "erzwungener Regimewechsel" weiter strikt abgelehnt.