Berlin/Biberach. Die Grünen sagen wegen der Demos den politischen Aschermittwoch ab. Die Stimmung ist aufgeheizt, Polizisten greifen zu Pfefferspray.

Es hatte ein Schaulaufen der grünen Parteiprominenz werden sollen, aus dem Land genauso wie aus Berlin: Parteichefin Ricarda Lang, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir – alle hatten sie sich angekündigt für den politischen Aschermittwoch der Grünen im schwäbischen Biberach. Doch zum Reden kamen sie nicht. Kurz vor Beginn der Veranstaltung wurde der Termin abgesagt.

Grund war die aufgeheizte Stimmung vor Ort: Seit dem Morgen hatten sich hunderte Demonstranten versammelt, darunter viele Landwirte mit Traktoren. Und neben Pfiffen und Hupkonzerten kam es dabei laut Polizei teilweise zu „aggressivem“ Verhalten – so sehr, dass Veranstalter und Polizei die Sicherheit der Teilnehmenden nicht mehr für gewährleistet hielten.

Lesen Sie auch: Özdemir im Interview – „Mehrheit der Bauern hat mit Galgen nichts am Hut“

Schon im Laufe der frühen Morgenstunden war es nach Aussage eines Sprechers der Polizei Ulm zu Protestaktionen gekommen, Straßenblockaden hinderten Besucher der Aschermittwochs-Veranstaltung an der Anreise. Anfahrtswege in und um Biberach seien blockiert gewesen. Dabei seien laut Polizeisprecher Sven Vrancken auch Gegenstände auf Polizisten und Polizeifahrzeuge geworfen worden. Die Polizei setzte daraufhin Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Mehrere Polizeibeamte seien leicht verletzt, ein Polizeifahrzeug beschädigt worden.

Biberach: Özdemir nimmt Landwirte trotz Tumulten in Schutz

Vor der Halle hatten sich am Vormittag nach Polizeiangaben „mehrere hundert Personen“ versammelt. Polizei und Veranstalter seien laut Vrancken überein gekommen, dass man Bedenken gehabt habe, ob diese Veranstaltung „gefahrlos“ stattfinden könne. Auch während seines Statements war im Hintergrund noch Hupen zu hören, viele Protestierende befanden sich weiterhin vor Ort. Bilder und Video-Aufnahmen von den Demonstrierenden zeigen neben Plakaten, auf denen mehr Unterstützung für die Landwirte eingefordert wird, auch viele wütende Transparente mit Bezug zur Ampel-Regierung.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Angemeldet gewesen waren laut Polizei zwei Veranstaltungen, eine Kundgebung sowie eine Sternfahrt. Auf der Kundgebung hatte der grüne Agrarminister Cem Özdemir auch zu den Bauern gesprochen und mit ihnen diskutiert. Den Umgang dort habe er als fair empfunden, sagte Özdemir. „Dass es da mal lauter wird, gehört dazu, das muss man aushalten.“

Die Landwirtinnen und Landwirte als Gruppe nahm er in Schutz. „Die, die da jetzt über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft. Das waren Einzelne, die sich da so benommen haben“, sagte der Minister. Die Demonstrantinnen und Demonstranten hätten der Landwirtschaft und deren Anliegen so keinen Gefallen getan. Der frühere grüne Umweltminister Jürgen Trittin sagte der „tageszeitung“, es habe sich um Rechte und nicht um Landwirte gehandelt. „Das war ein organisierter rechter Mob.“ Nach Angaben des grünen Europa-Abgeordneten Michael Bloss wurde bei einem Begleitfahrzeug Özdemirs eine Scheibe eingeschlagen. Auf Bildern war eine Limousine mit einem Loch in der hinteren Scheibe zu sehen.

Gewalttätige Proteste: Landesbauernverband rief nicht dazu auf

Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) kritisierte die Proteste scharf. „Wer glaubt, mit gewaltvollen Aktionen seine politischen Ziele zu erreichen, wird dabei nicht nur scheitern, sondern hat den Boden unseres demokratischen Gemeinwesens längst verlassen. Für diese Art Protest darf es keine Toleranz geben, dafür aber rechtsstaatliche Konsequenzen“, schrieb er auf X (ehemals Twitter). Wer hinter den Aktionen stand, war zunächst nicht klar. Der Landesbauernverband in Baden-Württemberg hatte nach eigener Auskunft nicht zu den Protesten aufgerufen oder diese im Vorfeld unterstützt.

Die Scheibe eines Autos ist eingeschlagen vor der Veranstaltungshalle des politischen Aschermittwochs in Biberach. Es soll sich um ein Begleitfahrzeug von Minister Özdemir handeln.
Die Scheibe eines Autos ist eingeschlagen vor der Veranstaltungshalle des politischen Aschermittwochs in Biberach. Es soll sich um ein Begleitfahrzeug von Minister Özdemir handeln. © DPA Images | David Nau

Der Vorfall weckt Erinnerungen an eine Episode im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel zu Beginn des Jahres. Dort hatten protestierende Landwirte sich an einem Anleger gesammelt, an dem eine Fähre mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an Bord von der Hallig Hooge ankommen sollte. Auch dort war die Stimmung aufgeheizt. Die Fähre war schließlich gezwungen, wieder abzulegen, nach Angaben der Reederei konnte nur so eine Stürmung verhindert werden.

Grünen-Chefin Ricarda Lang sieht in den Vorfällen eine Grenzüberschreitung: „Wer gewalttätig wird, verlässt den Rahmen des demokratischen Diskurses“, sagte sie am Mittwoch. Sie danke allen, die dabei geholfen hätten, die Situation zu deeskalieren, insbesondere den Polizistinnen und Polizisten. Kritischer Protest sei legitim und ein hohes Gut, erklärte Lang, deshalb sei es gut, dass Özdemir einen konstruktiven Diskurs mit den friedlichen Teilen der Kundgebung geführt habe. „Doch dort, wo Menschen bewusst daran gehindert werden, sich zum politischen Austausch zu treffen, schadet das dem Anliegen.“

Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, sieht bei den Protesten Einzelne am Werk.
Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, sieht bei den Protesten Einzelne am Werk. © DPA Images | Daniel Vogl

Auch bei SPD-Chef Lars Klingbeil gab es Proteste von Landwirten

Demonstriert hatten Landwirte auch im bayerischen Vilshofen, wo SPD-Chef Lars Klingbeil zum politischen Aschermittwoch sprach. Sein Auftritt begann mit Verspätung, weil der Sozialdemokrat sich mit Bauernvertretern zum Gespräch traf. Der Austausch sei konstruktiv gewesen, hieß es im Anschluss. Vor dem Veranstaltungsort hatten sich Bauern mit Traktoren versammelt, die Proteste der Landwirte verliefen jedoch friedlich.

In Passau, wo die CSU traditionell den politischen Aschermittwoch in der Dreiländerhalle begeht, nutzte CSU-Chef Markus Söder unterdessen seine Rede unter anderem für scharfe Attacken gegen die Grünen. Die CSU wolle keine Grünen in der nächsten Bundesregierung – „Grün ist out“, die Grünen seien nicht regierungsfähig. Zu den Vorfällen in Biberach äußerte Söder sich am Mittwoch nicht.