Berlin. Eine Jungbäuerin aus Hessen kämpft für ihre Zukunft, ein Bio-Bauer aus Niedersachsen lehnt die Proteste ab. Aber etwas eint die beiden.

Seit einer Woche demonstrieren die Bauern gegen Kürzungen bei Subventionen für die Landwirtschaft. An diesem Montag laufen die Aktionen auf ihren Höhepunkt zu. Zwei Bauern erzählen unserer Redaktion, was sie von den Protesten halten: Während eine Jungbäuerin aus Hessen ihre eigene Zukunft von Jahrzehnten verfehlter Agrarpolitik bedroht sieht, hat ein Bio-Bauer aus der Lüneburger Heide keinen Grund zu protestieren. Eine Einsicht eint die beiden jedoch: In der deutschen Agrarwirtschaft läuft etwas gewaltig schief.

„Ich bin nicht wütend oder sauer und muss auch kein Ampel-Bashing betreiben, weil es mir nicht schlecht geht“, sagt Lars Odefey. „Ich habe die Demonstrationen verfolgt, an denen sich auch meine Nachbarn hier in der Lüneburger Heide beteiligen. Ich habe jedoch nach Betrachten der Fakten festgestellt, dass die beschlossenen Kürzungen für mich keine Relevanz haben.“

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Dennoch gebe es Probleme in der Landwirtschaft, räumt der Landwirt ein. „Was viele killt, ist die Bürokratie und die vielen Vorschriften, auf nationaler und EU-Ebene. Bei einem Betrieb mit 500 Hektar Ackerbau brauchst du eine halbe Kraft nur für den Papierkram. Da bin ich ganz bei den Demonstrierenden“, so Odefey. „Das Ausmaß und die Aggressivität der Proteste, mit Galgensymbolen und der Blockade von Robert Habeck, entbehren jedoch jeden demokratischen Grundverständnisses.“

Bio-Bauer Lars Odefey: „Was viele killt, ist die Bürokratie“

Odefey hat den Hof in der Lüneburger Heide von seinen Eltern übernommen und die Landwirtschaft ganz neu gegründet. „Das bin ich strategisch angegangen und habe jetzt eine Bio-Hühnerzucht mit Direktvertrieb“, erklärt der Bauer. „Ich bin also nicht von den großen Lebensmittelhändlern abhängig.“ Odefey kritisiert, dass es inzwischen nur noch vier große Lebensmittelhändler gibt – Aldi, Rewe, Edeka und die Schwarz-Gruppe mit Lidl. Demgegenüber stehen 160.000 Landwirte in Deutschland.

Lars Odefey ist Bio-Bauer. Er hat sich von Lebensmittelkonzernen unabhängig gemacht.
Lars Odefey ist Bio-Bauer. Er hat sich von Lebensmittelkonzernen unabhängig gemacht. © Hendrik Haase | Hendrik Haase

Diese vier Großhändler halten das Nachfrage-Oligopol und könnten den Landwirten die Preise diktieren, sagt der Jungbauer. „Ich habe selbst im industriellen Fleischeinkauf gearbeitet und weiß: Von einem Euro im Supermarkt kommen nur 12 bis 20 Cent beim Erzeuger an, obwohl der die meiste Arbeit hat.“ Auch deshalb hat Odefey den Vertrieb selbst übernommen.

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„Wenn ich mein Huhn für 30 Euro direkt an den Endverbraucher verkaufe, bleibt die volle Wertschöpfung bei mir“, erklärt er. „Viele Betriebe geraten jedoch in das Hamsterrad, die Preise der Händler immer akzeptieren zu müssen und so die maximale Menge aus Boden, Mensch und Technik herauspressen zu müssen.“

Jungbäuerin Inka Baumgart: „Es geht um unsere Zukunft“

Auch Jungbäuerin Inka Baumgart aus Hessen glaubt, dass eine verfehlte Agrarpolitik für das Ausmaß der Proteste verantwortlich ist. Die große Wut der Bauern zeige vor allem, „wie groß unsere Sorgen sind“, sagt sie unserer Redaktion. „Nachdem Agrarpolitik in den letzten 30 Jahren mit angezogener Handbremse gemacht wurde, müssen wir jetzt in einen nachhaltigen Umbau der Landwirtschaft investieren, denn noch ist es relativ billig, in effektiven Klimaschutz zu investieren.“

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Baumgart glaubt, dass die Mehrheit der Bauern nicht wegen des Agrardiesels auf die Straße geht, sondern wegen politischer Fehler der vergangenen Jahre. „Es ist ein riesiges Versäumnis, dass wir auf EU-Ebene immer noch Subventionen pro Hektar auszahlen, anstatt gesellschaftliche Leistungen wie Umweltschutz und Tierwohl angemessen zu fördern.“ Es sei ein Problem, wenn von heute auf morgen gesetzliche Rahmenbedingungen geändert würden und es keine Planungssicherheit gebe, kritisiert die Landwirtin.

Inka Baumgart will später einen Milchviehbetrieb gründen. Doch die Pachtpreise sind nur schwer zu stemmen.
Inka Baumgart will später einen Milchviehbetrieb gründen. Doch die Pachtpreise sind nur schwer zu stemmen. © privat | Privat

Wie viele andere Jungbauern und Jungbäuerinnen fürchtet auch Baumgart um ihre Zukunft. Schon jetzt sind die Arbeitsbedingungen in dem Beruf prekär – und die Aussichten werden nicht unbedingt besser. „Eine 60-Stunden-Woche und 16-Stunden-Arbeitstage während der Ernte sind normal“, sagte sie. „Und der Stundenlohn ist am Ende sehr gering, die Altersarmut hoch.“ Sie gehe jetzt mit den Bauern auf die Straße, „damit auch für uns irgendwann eine 40-Stunden-Woche normal wird und wir angemessene Preise für unsere Produkte bekommen“, sagt sie.

Kampf gegen rechts wird auch innerhalb der Proteste geführt

Trotz aller Umstände, sagt Baumgart, sei Landwirtin ihr Traumberuf. „Von Geburtshilfe bis Maschinenschrauben ist alles dabei“, sagt sie über die große Bandbreite der Aufgaben, die ein Bauer täglich ausübt. „Aber die Existenzgründung wird sehr schwierig.“ Allein die Pachtpreise für Land hätten sich in den letzten zehn Jahren mindestens verdoppelt, erklärt sie und fordert einen besseren Zugang zu Land für junge Menschen, die sich etwas aufbauen wollen. „Es ist jetzt an der Zeit, in den Ländern ein Agrarstrukturgesetz zu verabschieden, damit wir außerlandwirtschaftliche Investoren wieder vom Acker schmeißen können.“

Baumgart bestätigt Versuche der extremen Rechten, die Proteste zu unterwandern – und besonders auf dem Land gebe es ein Problem mit Rechtsextremismus. Aus ihrer Sicht wäre es nötig, dass sich der Deutsche Bauernverband und der Verein Land schafft Verbindung (LSV) nach allgemeinen Abgrenzungen gegen die extreme Rechte „jetzt konkret und deutlich von den rechtsextremen Aussagen des LSV-Sprechers Anthony Lee abgrenzen“. Der Landwirt aus Möllenbeck in Niedersachsen hatte Politikern vorgeworfen, sie wollten den Bauern ihr Land wegnehmen, um darauf Flüchtlingsunterkünfte zu bauen.