Jerusalem. In der israelischen Armee herrscht Einigkeit, dass man einmarschieren muss. Doch die Politik bremst, weil sie triftige Gründe sieht.

Bereits vor zwölf Tagen sagte der israelische Armeesprecher, Israel sei „bereit für das nächste Level“ – also für den Einmarsch der Bodentruppen im Gazastreifen. Seither warten die an der Gaza-Grenze stationierten Divisionen vergeblich auf den Einsatzbefehl. Nicht nur die Soldaten werden langsam unruhig, auch die Öffentlichkeit. Sogar das netanjahufreundliche Gratisblatt Israel HaYom titelte: „Netanjahu fehlt es an Entschlossenheit“.

Warum das Abwarten? Militärtaktische Gründe stehen eher nicht dahinter. In der Armee herrscht Einigkeit, dass man das Ziel, die Hamas zu beseitigen, nur mit einem Einmarsch erreicht. Es ist die Politik, die auf dem Bremspedal steht. Und das hat triftige Gründe.

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Erstens die Geiseln: Die Verhandlungen mit Katar über die Freilassung Dutzender Geiseln sollen weit fortgeschritten sein. Circa fünfzig Geiseln stehen demnach kurz vor der Freilassung. Eine Bodenoffensive zum jetzigen Zeitpunkt würde diesen Erfolg vereiteln.

Mehrere ausländische Regierungen setzen sich für ihre nach Gaza verschleppten Staatsbürger ein – darunter der wichtigste Partner, die USA, aber auch Deutschland. Man geht davon aus, dass die Hamas als Erstes die Doppelstaatsangehörigen freilassen würde.

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    Aus israelischer Sicht ist diese abwartende Haltung riskant: Was, wenn die Hamas die Freilassung der Geiseln monatelang hinauszögert und nur alle paar Tage zwei weitere Gekidnappte an das Rote Kreuz übergibt? Je länger es sich hinzieht, desto größer die Gefahr, dass die Welt die Gräuel vom 7. Oktober vergisst und die Freilassungen der Geiseln als Beweis für eine angeblich „menschliche“ Seite der Hamas betrachtet. Aus israelischer Sicht birgt das die Gefahr, dass harte Gegenschläge im Gazastreifen auf geringeres Verständnis im Westen stoßen könnten.

    Aus den USA kommen aber auch strategische Bedenken, wie die New York Times recherchiert hat. In Washington gibt es Zweifel, ob die israelische Armee den Herausforderungen der Bodenoffensive gewachsen wäre, sollte es in der Folge zu einem Multifrontenkrieg kommen. Die Hisbollah im Libanon hatte angedroht, einem Gaza-Einmarsch intensiven Beschuss aus dem Norden folgen zu lassen.

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    „Es gibt keine Stoppuhr und keine Deadline“

    Während die Bodentruppen weiter abwarten, konzentriert sich Israels Armee auf intensiven Beschuss im Gazastreifen, vor allem in Gaza-Stadt. „Wir bombardieren auch, um bessere Bedingungen für den Bodenkampf zu schaffen“, sagt Yossi Kuperwasser, früher leitender Offizier im Militärgeheimdienst. Israel müsse sich auf einen langen Krieg einstellen. „Es gibt keine Stoppuhr dafür und keine Deadline“, sagt er. „Wir müssen die Hamas aus dem Gazastreifen hinauswerfen und haben dabei überhaupt keinen Zeitdruck.“

    Die humanitäre Lage in Gaza verschlimmert sich zusehends. Auch das soll Washington bewogen haben, Israel von einer baldigen Bodenoffensive abzuraten. Erst müsse gesichert sein, dass ein Minimum an humanitärer Versorgung in den Gazastreifen gelangen könne, heißt es. Zuletzt kamen rund zwanzig Container an Hilfslieferungen über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in den Streifen.