Berlin. Nach den heftigen Angriffen letzte Woche werden die Behörden von Bergkarabach aufgelöst. Zehntausende Armenier sind auf der Flucht.

Am frühen Donnerstagmorgen läutet ein Dekret das Ende Bergkarabachs ein. Präsident Samuel Schahramanjan unterzeichnet das Papier, in dem die Auflösung der international nie anerkannten Republik und ihrer Institutionen zum Jahresanfang 2024 verkündet wird. Es ist die endgültige Kapitulation vor dem mächtigen und waffenstarrenden Aserbaidschan.

Wenn die Republik Bergkarabach Geschichte sein wird, werden die Aserbaidschaner über eine Region herrschen, aus der wahrscheinlich nahezu alle Armenier geflohen sind. Zu dem Zeitpunkt, als das Dekret öffentlich wird, haben mehr als 65.000 Menschen Bergkarabach verlassen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung.

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Bergkarabach erklärte sich 1991 als unabhängig

Bergkarabach im Südkaukasus ist eine Region etwa doppelt so groß wie das Saarland, die seit Jahrhunderten mehrheitlich von ethnischen Armeniern bewohnt wird. Zahlreiche Kloster und Kirchen zeugen von der christlichen Vergangenheit der Region. Gleichwohl erhebt das muslimische Aserbaidschan seit seiner Gründung 1917 Anspruch auf Bergkarabach. Die Sowjets ernennen die Region in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts zu einem Teil Aserbaidschans. Seitdem kommt es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen, zu Pogromen und Vertreibungen.

1991 erklärt sich Bergkarabach als unabhängig, die Menschen dort rufen die Republik aus. Daraufhin fechten Aserbaidschan und Armenien einen erbitterten Krieg um die Region, mindestens 30.000 Menschen sterben. Armenien geht als Sieger aus dem Konflikt hervor und kontrolliert Bergkarabach danach jahrzehntelang.

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Region gilt völkerrechtlich als aserbaidschanisch

International wird die Unabhängigkeit Bergkarabachs, das sich 2017 in Republik Arzach umbenannte, nie anerkannt, völkerrechtlich gilt die Region als aserbaidschanisch. Vor drei Jahren führt das militärisch unter anderem von der Türkei hochgerüstete Aserbaidschan eine Großoffensive gegen Bergkarabach durch und erobert etwa zwei Drittel der Region. Im Anschluss zerstören aserbaidschanische Soldaten armenische Kulturgüter und Gotteshäuser wie die Kirche St. Johannes in Schuscha, im Süden Bergkarabachs.

Diese Stadt war exakt einhundert Jahre zuvor zum Schauplatz eines brutalen Pogroms gegen die dort lebenden Armenier geworden, bei dem Hunderte, vielleicht Tausende Menschen ermordet worden waren. Es sind diese Ereignisse, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der Armenier eingebrannt haben, genauso wie der Völkermord an ihren Vorfahren durch das Osmanische Reich in den Jahren 1915 und 1916.

Der Latschin-Korridor ist die einzige Verbindung zwischen Bergkarabach und Armenien. Dort hat sich ein langer Autostau gebildet.
Der Latschin-Korridor ist die einzige Verbindung zwischen Bergkarabach und Armenien. Dort hat sich ein langer Autostau gebildet. © Maxar Technologies/AP/dpa

Bergkarabach: Zehntausende Menschen auf der Flucht

Alle diejenigen aus Bergkarabach, die in diesen Tagen die Grenze überqueren, berichten von ihren Ängsten vor neuen Massakern. Flüchtlinge zeigen Videos, auf denen aserbaidschanische Soldaten zu sehen sein sollen, die armenische Soldaten misshandeln. Niemand von ihnen sieht eine Zukunft unter aserbaidschanischer Herrschaft, zu tief sitzen die Verletzungen, zu groß ist die Furcht.

Der offenkundig diktierte Text des Dekrets, mit dem der Präsident Bergkarabachs die Auflösung der Republik verkündet, klingt vor diesem Hintergrund hilflos. Die Bevölkerung Bergkarabachs solle sich mit den aserbaidschanischen Bedingungen für die Reintegration vertraut machen, um eine "unabhängige und individuelle Entscheidung" über eine mögliche Rückkehr treffen zu können, heißt es da.