Rom/Berlin. Tausende Geflüchtete sind auf Lampedusa gestrandet. Die Versorgung ist katastrophal. Nun verspricht die EU Hilfe. Was Helfer erleben.

Die blauen Pritschen stehen am Hang. Zwischen kargen Bäumen, auf Sand und Staub. Überall liegen Plastikflasche, Tüten, glitzernde Rettungsdecken. Die Menschen hocken, sitzen, liegen. Manche von ihnen tragen keine Schuhe, viele haben nicht mehr bei sich als das, was sie an ihrem Körper tragen: T-Shirts, kurze Hosen, ihr Handy. Wenn es gut läuft, haben sie noch etwas Geld von der Flucht übrig.

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8000 Menschen kamen auf Booten in der vergangenen Woche auf Lampedusa an, dieser Stein im Mittelmeer, gerade so groß wie ein Stadtteil in Berlin oder Hamburg. Gerade einmal 6000 Bewohner. Doch genau diese Insel trägt einen Großteil der Last der europäischen Asylpolitik. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist gemeinsam mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nach Lampedusa gereist.

Wie ist die Lage auf Lampedusa?

Zwischen 1500 und 2000 Menschen sollen in der Aufnahmeeinrichtung auf der Insel derzeit untergebracht sein. Aufgebaut wurde sie für nicht einmal 500. Tausende Menschen sind verstreut auf der Insel, zwischen Lager, Stadt und Hafen. Viele schlafen auf Asphalt oder auf Matten unter freiem Himmel. Es fehlt an Toiletten, Uringestank allgegenwärtig. Die Geflüchteten stehen Schlange, warten auf Essen, das freiwillige Helfer und Organisationen verteilen. Andere warten auf den Bus Richtung Hafen, wo die Fähren zum Festland abfahren.

Völlig überfüllt: Das Flüchtlingslager auf Lampedusa.
Völlig überfüllt: Das Flüchtlingslager auf Lampedusa. © Reuters | YARA NARDI

Vor einigen Tagen brach die Versorgung zusammen. Es fehlte an Essen und Trinken. Menschen brachen aus dem Lager aus, bettelten gegen Hunger und Durst auf den Promenaden und in den Restaurants der Touristen-Hochburg. Ehrenamtliche Helfer verteilen Lebensmittel vor der Kirche der Insel. So berichten es Augenzeugen wie der 31 Jahre alte Helfer Tamino Böhm aus Berlin, der seit 2018 immer wieder länger mit der Organisation Sea-Watch e.V. auf der Insel ist. Von hier starten die Flüchtlingshelfer Aufklärungsflüge über das Mittelmeer. „Die Insel wird alleingelassen“, sagt Böhm.

Auch andere Helfer sind vor Ort, wie das Rote Kreuz und das UN-Flüchtlingshilfswerk. Nach den ersten Tagen im Chaos hat sich demnach die Situation etwas beruhigt. Nur vereinzelnd brechen Streitigkeiten zwischen den gestrandeten Menschen aus, es kommt zu Rangeleien mit der Polizei. Eine kleine Klinik muss alleine die Menschen versorgen, darunter auch Schwangere und Verletzte.

Wie reagieren die Menschen auf der Insel?

Seit mehr als 20 Jahren sind die Einwohner der Insel Lampedusa mit starkem Zuzug von Migranten und Geflüchteten konfrontiert. In den vergangenen Wochen und Monaten waren die Zahlen wieder so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Das gilt für die gesamte Mittelmeer-Region. Die vergangene Woche war für Lampedusa aber eine Zeit am Limit, so schildern es viele Anwohner. „Wir schaffen es nicht mehr, wir können nicht mehr so weitermachen. Wir werden überrollt“, klagt Bürgermeister Filippo Mannino.

Erstmals sind Bürgerproteste ausgebrochen, die auch Premierministerin Meloni und EU-Kommissionschefin von der Leyen zu spüren bekamen. Dutzende Menschen blockierten am Sonntag dem Konvoi mit den Politikerinnen den Weg vom Flughafen zur Flüchtlingseinrichtung der Insel.

Die Menschen auf der Insel wollen mehr Hilfe. Und sie fordern, dass mehr Flüchtlinge in Richtung Festland oder Sizilien transportiert werden. Stattdessen heizten Gerüchte über ein geplantes neues Zeltlager auf Lampedusa am Wochenende die Stimmung an. „Schluss, Lampedusa gehört uns und nicht der EU“, skandierten einige Demonstranten.

Wenig investierte die italienische Regierung auf der Insel – obwohl sie seit Jahren Ziel von Tausenden Schutzsuchenden auf Booten ist. So berichtet es Tamino Böhm, der viele Monate im Jahr hier verbringt. Nun gebe es endlich wenigstens zwei weitere Krankenwagen. Schon das sei ein Fortschritt. Meloni erklärte, die Regierung in Rom habe 45 Millionen Euro für die Aufstockung von Infrastrukturen auf der Insel locker gemacht. Die Regierung wolle den Bewohnern der Insel unter die Arme greifen.

Ein Armeeoffizier schließt das Tor eines Auffanglagers für Migranten, während Migranten im Inneren sitzen. Nach der Ankunft Tausender Bootsmigranten seit Wochenbeginn hat sich am Freitag die Situation auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa laut Rotem Kreuz entspannt.
Ein Armeeoffizier schließt das Tor eines Auffanglagers für Migranten, während Migranten im Inneren sitzen. Nach der Ankunft Tausender Bootsmigranten seit Wochenbeginn hat sich am Freitag die Situation auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa laut Rotem Kreuz entspannt. © dpa | Cecilia Fabiano

Trotz Protesten gibt es aber auch Solidarität mit den Geflüchteten auf der Insel. Und das seit vielen Jahren. Nun sind so viele Menschen vor allem aus Afrika auf Lampedusa, das viele sich unter die Einwohner und Urlauber mischen. Manche sorgen sich um das Geschäft mit dem Tourismus. Andere tanzen nachts auf der Hauptstraße Via Roma gemeinsam mit den Geflüchteten zur Musik der Bars.

Warum kommen jetzt so viele Geflüchtete?

Vor allem September und Oktober sind jedes Jahr die Monate, in denen viele vor Einbruch des Winters die gefährliche Überfahrt aus Tunesien oder Libyen nach Italien riskieren. In Nordafrika organisierten Schlepperbanden das Geschäft mit der Flucht. Doch in den vergangenen Wochen prägten Sturmtiefs die Wetterlage. Nun war die See wieder ruhiger, viele Boote mit Migranten legten ab. Das Phänomen ist bekannt, somit hat die steigende Zahl an Booten Fachleute nicht überrascht. Im Gegenteil: Die Notlage war vorhersehbar, sagen viele.

Italienische Carabinieri, eine militärisch organisierte Polizeieinheit, sprechen mit Migranten, die in einem Aufnahmezentrum protestieren.
Italienische Carabinieri, eine militärisch organisierte Polizeieinheit, sprechen mit Migranten, die in einem Aufnahmezentrum protestieren. © dpa | Cecilia Fabiano

Die extrem rechte Regierung nutzt die katastrophale Lage auf der Insel für ihre eigene Agenda aus. Vizepremier Matteo Salvini wittert gar eine internationale Verschwörung hinter den steigenden Zahlen an Geflüchteten, um die Rechtsregierung Meloni, die sich den Kampf gegen die irreguläre Migration auf die Fahne geschrieben hat, unter Druck zu setzen. „Wenn 120 Boote zur gleichen Zeit auf Lampedusa ankommen, ist dies kein einzelner Vorfall, sondern ein Kriegsakt.“

Wie hilft Europa jetzt der italienischen Regierung?

Bisher sind es vor allem Ankündigungen, mit denen die EU akut auf Lampedusa helfen will. Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) hat Italien nach einem Telefonat mit anderen Ministern in Frankreich und Spanien Unterstützung zugesagt. Die Lage auf der italienischen Insel soll zudem bald unter den EU-Innenministerien beraten werden.

Zugleich gilt aber: Deutschland setzt das Aufnahmeprogramm von Geflüchteten aus Italien weiter aus. Der Grund laut Bundesregierung: Italien nehme Schutzsuchende aus Deutschland nicht zurück, die per EU-Regel in Italien registriert werden müssen. Bislang hatte Deutschland 1700 Menschen aus Italien aufgenommen.

Ursula von der Leyen (l), Präsidentin der Europäischen Kommission, und Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, sprechen während einer gemeinsamen Pressekonferenz zu Journalisten auf Lampedusa.
Ursula von der Leyen (l), Präsidentin der Europäischen Kommission, und Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, sprechen während einer gemeinsamen Pressekonferenz zu Journalisten auf Lampedusa. © dpa | Cecilia Fabiano

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen stellte bei ihrem Besuch auf Lampedusa einen Aktionsplan der EU in zehn Punkten zur Bewältigung der Asylkrise vor, darunter die stärkere Überwachung der EU-Außengrenze auf See durch die Grenzschutzagentur Frontex und schärfere Maßnahmen gegen Schlepper. Dafür will die EU die tunesische Küstenwache aufrüsten. Immer wieder kommt es jedoch zu Aktionen der Küstenwachen in Nordafrika, die scharfe Kritik von Menschenrechtlern ernten.

Zugleich will die EU mit den Herkunftsländern verhandeln, um Migration zu stoppen. Ein Vorhaben, das bereits seit vielen Jahren wenig Erfolge bringt. Was Europa auch laut von der Leyen will: legale Einwanderung durch humanitäre Korridore erleichtern. Auch davon gibt es bisher wenig.

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