Berlin. Der Rauswurf des Cyberabwehr-Chefs wird für Nancy Faeser zunehmend heikel. Neue Details können ihr den Wahlkampf in Hessen verhageln.

Die Ministerin muss in diesen Tagen manchmal sehr zeitig aus dem Bett. "Frühverteilung" nennen sie das im Wahlkampf. Am Mittwoch ab 6.30 Uhr am Bahnhof Eschborn Süd, am Donnerstag ab 5.15 Uhr vorm VW-Werk Baunatal, am kommenden Montag dann ab 5.50 Uhr am Heizkraftwerk Heddernheim: Nancy Faeser will jenen, die in aller Herrgottsfrühe zur Arbeit gehen oder von dort kommen, Broschüren in die Hand drücken.

Die SPD versteht sich als die Partei der Arbeitnehmer. Wer Regierungschef oder Regierungschefin in einem Bundesland werden möchte, muss nah dran sein an den Leuten, die den Laden am Laufen halten.

BSI monatelang ohne Führung – mitten im Krieg Russlands gegen die Ukraine

Eschborn, Baunatal, Heddernheim – Nancy Faeser ist unterwegs in der hessischen Provinz. Und weit weg von Berlin, ihrem Ministerium, dem Bundestag. Dort, wo ihr seit Tagen die Kritik entgegenschallt. Dort, wo nun aufgrund mehrerer Meldungen der Verdacht wächst, dass die Ministerin auf dünner Faktenlage vor einem Jahr ihren wichtigsten Cybersicherheits-Beamten absägte: den Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm.

Mitten in der Zeit des russischen Angriffskriegs, den Russland auch mit Waffen des Cyberkriegs führt, war Deutschlands größte Cyberabwehrbehörde monatelang ohne Präsident an der Spitze.

Rauswurf ohne Grund? Der frühere BSI-Chef Arne Schönbohm. Für Innenministerin Faeser wird seine Personalie zunehmend zum Problem.
Rauswurf ohne Grund? Der frühere BSI-Chef Arne Schönbohm. Für Innenministerin Faeser wird seine Personalie zunehmend zum Problem. © dpa | Rolf Vennenbernd

Als Faeser zu Beginn des Jahres ihre Kandidatur für die Ministerpräsidentin ankündigte, war klar: Innenministerin in Berlin, und zugleich Wahlkämpferin in Hessen – das wird ein brisanter Ritt. Gerade in Zeiten hoher Migration nach Europa. Faesers Ministerium steht im Fokus des deutschen Krisenmanagements. Und die Ministerin ist gerade eben oft nicht dort.

Es sind offene Flanken, die nun auch die Opposition ausnutzt – und den Druck auf Faeser hochhält. Die Union wirft der Hessin vor, im Zuge der Nachforschungen über Schönbohm den Verfassungsschutz instrumentalisiert zu haben – was die Ministerin vehement bestreitet.

Falsche Berichte des ZDF zu angeblichen Verbindungen Schönbohms nach Russland?

Der Justiz liegt eine Klage gegen Faeser vor, Kläger ist der Historiker Hubertus Knabe, der lange Jahre die Stasi-Gedenkstätte leitete. Er behauptet aufgrund von Berichten über interne Ministeriums-Papiere, dass die Leitung des Hauses Nachforschungen gegen Schönbohm anstellte – und damit offenbar den Verfassungsschutz beauftragte. Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte gegenüber unserer Redaktion den Eingang der Klage.

Die Abfrage des Ministeriums beim Geheimdienst ist in der Causa erst einmal nicht strafbar. Im Gegenteil: Damals standen heftige Vorwürfe gegen Schönbohm im Raum, nachdem die Satiresendung "ZDF Magazin Royale" von Jan Böhmermann über angebliche Verbindungen Schönbohms zu einem privaten Verein berichtet hatte, der enge Kontakte zu russischen Geheimdiensten unterhalten soll. Der Verein war bereits in den Jahren zuvor mehrfach wegen mutmaßlicher Nähe zu Russland in der Kritik. Schönbohm hatte ihn mitgegründet, sich aber nach der Übernahme des Chefpostens in der Cyberbehörde dort rausgezogen.

Monatelang blieb der Posten an der Spitze des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unbesetzt. Mittlerweile leitet Claudia Plattner das Amt.
Monatelang blieb der Posten an der Spitze des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unbesetzt. Mittlerweile leitet Claudia Plattner das Amt. © dpa | Michael Kappeler

Klar scheint mittlerweile: Böhmermanns Vorwürfe gegen Schönbohm lassen sich nicht belegen. Und somit wird auch der Rauswurf durch Faeser zum Politikum. Schönbohm selbst bat um eine Disziplinar-Vorprüfung durch das Ministerium. Dabei kam aber offenbar so wenig heraus, dass am Ende kein Disziplinarverfahren eröffnet wurde.

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Die nun eingereichte Klage des Historikers wird vor allem dann brisant, wenn Faesers Ministerium den eigenen Nachrichtendienst noch einmal in die Spur geschickt hat, als Schönbohms Unschuld längst belegt war.

Neuer Vorwurf: Schönbohm abgeschossen?

Die "Bild"-Zeitung berichtete am Dienstagabend zudem über eine weitere Klage, die Faeser unter anderem "systematische Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht des Ministeriums" vorwirft. Kläger ist in diesem Fall Schönbohm selbst.

In dem fünf Seiten langen Dokument wird zudem der Vorwurf erhoben, Faeser habe das "Ziel der Abberufung" Schönbohm erreicht, sprich, sie habe ihn gezielt abgeschossen und aufs "Abstellgleis" stellen wollen.

Der Bundestag, vor allem die Opposition, will der Sache im Parlament nachgehen

Nancy Faeser weist den Vorwurf zurück, sie habe den Geheimdienst auf Schönbohm angesetzt. Es habe von ihr "keinerlei nachrichtendienstliche Abfragen" gegeben.

Begründet wurde der Abberufung Schönbohms damals damit, dass "das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Neutralität und Unparteilichkeit der Amtsführung" nachhaltig beschädigt sei. Gerade durch den ZDF-Bericht. Nur wenn da nichts dran war?

Der Bundestag, vor allem die Opposition, will der Sache im Parlament nachgehen. Innenministerin Faeser aber sagt Sondersitzungen im Innenausschuss ab – mal aus gesundheitlichen, mal aus terminlichen Gründen. Und aus ihrer Sicht auch deshalb, weil sie bereits mehrfach zu der Causa Schönbohm im Innenausschuss ausgesagt hat.

Immer wieder ist Deutschland Ziel von Cyberangriffen – auch aus Russland.
Immer wieder ist Deutschland Ziel von Cyberangriffen – auch aus Russland. © dpa | Sebastian Gollnow

Nun droht ihr die Union mit einem Untersuchungsausschuss. "Nancy Faesers Verhalten im Fall Schönbohm ist vor allem eines: wegducken, ignorieren, abwinken", sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, unserer Redaktion. "Sie vertröstet mit windigen Ausreden eine Aufklärung durch das Parlament. Dabei ist längst klar: Keiner ihrer Vorwürfe gegen Herrn Schönbohm ist in irgendeiner Form zutreffend."

Faeser wiederum entgegnet in einer Rede im Parlament der Kritik aus der Union damit, dass die Opposition sie "mit Dreck" bewerfe. Gerade jetzt, in der heißen Phase des hessischen Wahlkampfes. Doch Faeser wird die Causa Schönbohm nicht los – seit fast einem Jahr kommen immer neue Details an die Öffentlichkeit.

In Hessen kämpft die SPD mit Nancy Faeser wohl nur noch um Platz 2

Nicht nur in Berlin läuft es nicht gut für Faeser. In dreieinhalb Wochen wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Und es sieht ziemlich düster aus für die SPD-Spitzenkandidatin. Ihr Wahlkampf zündet nicht so richtig.

Der bisherige Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU hat alle Chancen, als klarer Sieger aus dem Urnengang am 8. Oktober hervorzugehen und seine Koalition mit den Grünen fortzusetzen. Faeser und ihre Sozialdemokraten hingegen müssen befürchten, hinter den Grünen von Wirtschaftsminister Tarek al-Wazir auf Platz drei zu landen. Es wäre auch eine persönliche Niederlage für die Bundesinnenministerin.

Übt scharfe Kritik an Faesers Führung: der innenpolitische Sprecher der Union, Alexander Throm.
Übt scharfe Kritik an Faesers Führung: der innenpolitische Sprecher der Union, Alexander Throm. © IMAGO/Bernd Elmenthaler | IMAGO/Bernd Elmenthaler

Auch bei einer Niederlage hat Faeser eine Job-Garantie. Kanzler Olaf Scholz hat ihr offenbar zugesagt, dass sie Innenministerin bleiben soll. Nicht alle in der eigenen SPD-Fraktion im Bundestag hielten diese Doppelrolle für politisch schlau. Knapp zwei Jahre regiert Faeser in Berlin – in einem Ministerium, das fast zwei Jahrzehnte fest in Hand von CDU-Politikern war. Ein Haus, das ohnehin als "schwarz gefärbt" gilt.

Es wurde klar, dass Faesers Energie darauf gehen musste, das Ministerium mit mehreren Tausend Mitarbeitenden auf den neuen Kurs der Regierung von SPD, Grünen und FDP einzunorden.

Schönbohm hat längst einen neuen Job

Doch auf diesem Weg gab es schon Kritik an Faeser, noch bevor sie ihre Kandidatur für die Wahl in Hessen bekanntgegeben hatte. So setzte die Ministerin den erfahrenen Staatssekretär für Migrationspolitik ab – auch hier blieb der Posten Monate unbesetzt, inmitten der großen Asyldebatte.

Und was den geschassten BSI-Chef Schönbohm betrifft: Der ist inzwischen Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Er will seinen Ruf wiederherstellen und klagt gegen den Bund wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht. Dafür verlangt er 5000 Euro Schadenersatz.

Vom ZDF wiederum fordert er eine Entschädigung in Höhe von 100.000 Euro und eine Unterlassungserklärung. Moderator Böhmermann hält an seiner Darstellung aus dem vergangenen Jahr fest.