Berlin. Der G20-Gipfel in Indien hat gezeigt: Die Macht des Westens schwindet. Besonders die von Deutschland. Und: Es gibt einen neuen Star.

Am Ende des G20-Gipfels in Neu-Delhi tat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das, was er exzellent beherrscht: Er präsentierte sich als PR-Akrobat und Verpackungskünstler von unkonkreten Formelkompromissen. Viele schöne Worte, bunte Schleifchen, wenig Substanz. Als „Gipfel der Entscheidungen“ pries Scholz das Spitzentreffen der westlichen Industriestaaten und größten Schwellenländer.

Die Schönwetter-Version des Kanzlers ist leider nicht durch die Wirklichkeit gedeckt. Im Gegensatz zum G20-Gipfel im November 2022 auf Bali wurde der russische Einmarsch in die Ukraine nicht ausdrücklich verurteilt. Der in der Schlusserklärung enthaltene Hinweis auf die „territoriale Integrität“ ist nichtssagend, weil je nach Interpretationsinteresse dehnbar.

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Michael Backfisch, Politik-Korrespondent.
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Chinesen sind schon seit Jahren in der Region und machen glänzende Geschäfte

Der Westen kann hervorheben, dass damit die Souveränität der Ukraine in den Grenzen von 1991 gemeint ist. Russland kann sich hinter der Behauptung verschanzen, dass die vier annektierten Gebiete in der Ukraine plus die Krim anerkannt werden. China sieht sich bestätigt, dass Taiwan – das in Peking als abtrünnige Provinz verbucht wird – zur Volksrepublik gehört.

Die Zug- und Schifffahrtsverbindung zwischen Europa, dem Nahen Osten und Indien, die am Rande des G20-Gipfels mit viel Tschingderassabum verkündet wurde, ist in Wahrheit ein Eingeständnis, dass der Westen reichlich spät kommt. Während Amerika und Europa das Projekt als Mega-Fortschritt für den Handel feiern, reiben sich die Chinesen still die Hände. Sie sind schon seit Jahren in der Region, bauen Straßen, Flug- und Seehäfen, Eisenbahnlinien und machen glänzende Geschäfte.

Die Afrikanische Union dürfte sich Richtung China oder Russland ausrichten

Nein, der Westen muss selbstkritisch zur Kenntnis nehmen: Der jüngste G20-Gipfel steht für eine Neuordnung der Welt. Die Kräfteverhältnisse verschieben sich. Der Gastgeber Indien unterstrich nachdrücklich seine Rolle als aufsteigender Stern am internationalen Politik- und Wirtschaftshimmel.

Dazu passt, dass die Afrikanische Union in die G20-Runde aufgenommen wurde. Die G20 waren ursprünglich eine Plattform für aufstrebende Volkswirtschaften auf dem Weg zu Industrieländern. Dazu gehören Staaten wie Eritrea, Niger oder Südsudan definitiv nicht. Die Afrikanische Union dürfte sich künftig im G20-Club eher Richtung China (Wirtschaft) oder Russland (Waffen) ausrichten.

Man muss es so deutlich sagen: Die Rolle des Westens, der nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang die internationale Politik und Wirtschaft dominierte, ist gefährdet. Der Anteil von Bevölkerung und Wirtschaftsleistung nimmt im Weltmaßstab kontinuierlich ab. Länder wie Brasilien, Nigeria oder Indien legen zu. Hinzu kommt, dass Autokratien auf dem Vormarsch sind.

Trotz milliardenschwerer Staatshilfen: In Deutschland läuft einiges grundsätzlich schief

Das liegt auch daran, dass der Vorbildcharakter des Westens schwindet. Die Lage in Deutschland passt leider in dieses Bild. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) schrumpft unter allen großen Industriestaaten nur hierzulande die Wirtschaft in diesem Jahr. Laut ARD-Deutschlandtrend bezeichnen 73 Prozent der Bürger den Zustand der Wirtschaft als weniger gut oder schlecht. Nur 19 Prozent der Bevölkerung sind mit der Arbeit der Ampelregierung zufrieden.

Dass die Bilanz trotz der milliardenschweren Staatshilfen während Corona-Krise und Ukraine-Krieg so düster ist, zeigt: In diesem Land läuft einiges grundsätzlich schief. Deutschland muss wieder lernen, dass Leistungen erst erwirtschaftet werden müssen, bevor umverteilt werden kann. Nur wer sich dem globalen Wettbewerb stellt und hier besteht, kommt ökonomisch auf den aufsteigenden Ast. Und nur dann sind wir für andere Länder wieder attraktiv.

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